Um 6.30 Uhr ist heute bereits die Nacht zu Ende, als mein Wecker lärmt. Wenn man auf andere Pilger in einer Massenunterkunft keine Rücksicht nehmen muss, ist man relativ schnell fertig mit dem packen. Nur noch schnell die Betten abgezogen und schon können wir unser Zimmer verlassen. Doch bevor wir die heutige sehr lange Etappe angehen, wollen wir eigentlich noch einen Happen essen. Doch die Tür zur Herberge ist noch verschlossen. Also werfen wir unseren Schlüssel in den Briefkasten und gehen los, um uns ein Frühstück im Ort zu suchen. Außerdem muss ich noch einen Geldautomaten aufsuchen, was in dieser Finsternis nicht so einfach ist. Ein paar Pilger, die ebenfalls bereits auf den Beinen sind, geben mir den entscheidenden Hinweis, wie ich meinen Brustbeutel wieder füllen kann. Unser Standard – Frühstück hängt mir langsam zum Hals raus. Zumal der Toast hier in der kleinen Bar im Zentrum von Negreira besonders hart geraten ist. Auch der Kaffee ist nicht die Wucht. Der Tag kann nur noch schöner werden in Anbetracht dieser Nebelsuppe, die da draußen wabert. Und hell will es auch nicht werden.
Hier der GPS Track zur Etappe:
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danach wird es dunkel
Selbst im Lichtkegel meiner Kopflampe ist der Weg kaum auszumachen, nachdem wir den Ort und damit den Bereich der Straßenlampen verlassen haben. Am Ortsausgang steht ein junges Mädchen mit ihrem riesigen Rucksack etwas unschlüssig am Straßenrand. Ich schaue noch mal auf meinen GPS Track und gebe ihr ein Zeichen, dass der Weg nach links in den Wald verschwindet. Wegzeichen sind bei dieser Beleuchtung kaum zu finden. Und so bin ich mal wieder ganz froh über mein Smartphone und die App mit den tollen Karten. Das Mädchen hingegen ist sicher froh, dass sie nicht allein durch diesen dunklen Wald muss. Da wird selbst mir ganz unheimlich bei diesem Nebel. Die Schatten der Bäume, die durch meine Lampe erzeugt werden, wenn ich mal hoch schaue, scheinen sich zu bewegen. Als ob sich hinter jedem Baum eine dunkle Gestalt versteckt und weg huscht, wenn wir sie erblicken. Doch schon stolpere ich über eine dicke Wurzel und mein Kopf neigt sich schnell wieder nach unten. Der Weg ist wirklich nur zu erahnen im Scheinwerferkegel. Dabei war ich bisher mit der Leistung meiner kleinen Kopflampe immer sehr zufrieden. Es ist aber auch eine Suppe!
der Nebel lichtet sich langsam
Unsere Begleiterin, die immer einen kleinen Abstand zu uns gehalten hat, ist im nächsten Ort plötzlich verschwunden. Auch als wir am Ortsausgang wegen eines natürlichen Bedürfnisses eine kleine Pause einlegen, kommt sie nicht nach. Aber da es nun bereits dämmert und der Weg und die gelben Pfeile jetzt deutlicher zu sehen sind, setzen wir unseren Weg allein fort. Sicherheitshalber prüfe ich aber noch mal, ob wir richtig sind. Sie wird sich schon finden. Hat es ja schließlich auch bis hier her geschafft. 2012 waren wir ja, wie bereits geschrieben, wegen eines Sturmes auf der Straße geblieben. Also sind wir nun gespannt, was wir damals so alles verpasst haben. Wir haben zwar mit Olveiroa den gleichen Zielort heute aber eben einen in großen Teilen ganz anderen Weg. Und dieser Weg, der sich nun aus dem Dunkel und aus dem Nebel schält, ist wirklich klasse. Die meiste Zeit laufen wir auf ausgetretenen Hohlwegen durch einen Mischwald, in dem der Eukalyptus eindeutig die Oberhand gewinnt. An einigen Stellen ist die Luft in Bodennähe ganz klar, während sich unsere Köpfe im Neben befinden.
faszinierende Schattenspiele
Erst die aufgehende Sonne zutscht die Nebelschwaden aus den Tälern und Senken und wir haben eine klare Sicht. Hin und wieder jedoch zaubert die Sonne durch den Nebel immer noch faszinierende Schattenspiele. Das Leben in den kleinen Dörfern durch die wir gehen, ist noch nicht erwacht. Nur die Hunde sind wach und kläffen uns aus sicherer Entfernung an, wenn wir an ihnen vorbei gehen. Die Abschnitte, die wir auf der Straße laufen, kommen mir bekannt vor. Und so weiß ich, dass es nicht mehr weit sein kann bis Vilaserio. Hier befindet sich neben einer Pilgerherberge auch eine Bar, die wir für eine kurze Pause nutzen.
Bar in Vilaserio
Wir sind beileibe nicht die einzigen Pilger hier. Und es herrscht ein richtiges Gedränge. Es scheint so, dass der Weg nach Finisterra immer beliebter wird. Noch vor zwei Jahren waren wir hier völlig allein, was natürlich auch am Wetter gelegen haben könnte. Das damalige? – Bei dem hätte man keinen Hund vor die Tür geschickt. Heute strahlt dagegen so wie in den letzten Tagen die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Das wird wohl heute noch einige Schweißtropfen kosten. Denn erfahrungsgemäß wird es ab Mittag ziemlich warm. Wir machen uns wieder auf den Weg, um den kühlen Morgen noch etwas zu genießen. Die Hitze setzt heute jedoch schon wesentlich früher ein. Vor As Maronas laufen wir nun schon seit ewigen Zeiten über einen staubigen Feldweg. Es gibt kaum Bäume die Schatten spenden könnten.
Abkühlung im Rio Chancela
Wir sind froh, als wir vor den ersten Häusern des Ortes eine Brücke über einen Bach mit glasklarem Wasser finden. Es ist der Rio Chancela, der hier entlang plätschert. Neben der Brücke ist eine Furt, die uns geradezu auffordert die Schuhe und Socken auszuziehen und hinein zu waten ins seichte Wasser. Doch genau so schnell, wie ich hinein gewatet bin, springe ich auch wieder hinaus, als ein stechender Schmerz im Gehirn ankommt. Man ist das kalt! Auch ein zweiter Versuch endet schnell. Trotzdem war es eine willkommene Erfrischung. Etwas schwierig ist es nun, den Sand von den Füßen zu bekommen. Denn der hätte verheerende Wirkung im Schuh auf den weiteren Kilometern. Also bleiben wir noch etwas sitzen am Straßenrand und lassen die Füße in der Sonne trocknen. Bald wird der Sand von allein abfallen.
Vom Dorf her kommt plötzlich eine Herde Milchkühe gelaufen und steuert gerade auf die Furt zu. Dazu müssen sie direkt an uns vorbei und ich ziehe schon mal die Socken an, um zu türmen. Ein großer schwarzer Hund bremst sie jedoch aus und leitet sie durch ein Holztor auf eine Koppel. So eine Kuh wird, wenn man sitzt, ganz schön groß. Es ist uns nicht ganz geheuer, als sie so nahe auf uns zu und vorbei rennen. Auch der riesige Hund, der uns um die Beine schnüffelt, macht zunächst einen beunruhigenden Eindruck. Inmitten der Kühe läuft eine junge Bäuerin, die mit einem winzigen Stöckchen versucht, ihre Rindviecher auf den rechten Weg zu leiten. So richtig klappt das aber nicht. Den Hund indes interessiert das überhaupt nicht mehr. Er erhält von mir einen Happen von meinem Bocadillo, so als Friedensangebot und trottet weiter zum Wasser, um das trockene Brötchen mit etwas Wasser aufzuweichen. Schon liegt er drin in der kalten Brühe und schnappt genüsslich nach dem Wasser. Doch die Pflicht ruft. Immer mehr Kühe kommen aus dem Dorf zusammen mit dem Rest der Familie. Erst als alle Kühe auf der Weide sind, werfen wir unsere Rucksäcke wieder auf den Rücken und gehen weiter. Das wir uns richtig verstehen, ich habe eigentlich weder Angst vor Kühen, noch vor Hunden. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, hatte fast immer einen Hund und als Kinder sind wir auf Kühen geritten. Aber wenn da so viele in dem Tempo auf einen zu kommen und man in sitzender Position ziemlich in der Defensive ist, wirken die schon bedrohlich. Ist ja alles gut gegangen und wir können unseren Weg ohne Schaden fortsetzen. Die ersten Schritte sind jedoch etwas ungleichmäßig, da wir die frischen Hinterlassenschaften der Herde auf dem Weg umschiffen müssen.
Erfrischung an der AC-400
In Lamelas, direkt an der AC-400, waren wir 2012 vor dem Sturm in eine schöne Bar geflüchtet, in der wir dann versucht hatten, unsere Einlegesohlen und die Socken mit jeder Menge Toilettenpapier trocken zu bekommen, während unsere Ponchos große Pfützen unter dem Kleiderständer hinterließen. Die Sache war völlig sinnlos. An uns war eigentlich nichts mehr trocken als wir vor drei Jahren in Olveiroa ankamen. Heute haben wir eher mit der Hitze zu kämpfen und sehen, dass die Bar leider geschlossen ist. So wie es aussieht wird sie in absehbarer Zukunft auch nicht wieder öffnen. Zum Glück gibt es aber gleich daneben eine andere. Ob die neu ist, kann ich nicht sagen, da sie mir 2012 gar nicht aufgefallen ist. Jedenfalls nutzen wir die, um uns vor dem letzten Stück, es mögen noch etwa 13 Kilometer sein, noch einmal mit Flüssigkeit zu versorgen.
wir kürzen ab
Ich weiß ja, dass man eigentlich auf einem Camino nicht abkürzt. Aber bei dieser langen Etappe heute sei uns das verziehen. Ich erkenne nämlich auf der Karte, dass man, wenn man in Gueima nicht links abbiegt, sondern den Abzweig nach rechts nutzt, ein ganzes Stück abschneiden kann. Die nächste Straße hinter dem Ort biegt man dann nach links ab und erreicht nach einem etwas heftigen Aufstieg wieder die originale Streckenführung. Das Gesicht zweier Radfahrer, als sie uns erneut überholen müssen, ist unbezahlbar. Zugegeben, sie waren nicht sonderlich flink unterwegs. Aber noch vor Gueima hatten sie uns schon einmal freundlich grüßend überholt. Ein ganzes Stück vor uns steigen die beiden vom Rad und ich bemerke an ihren Blicken, dass es um uns geht. Von 2012 her kenne ich die “verpasste” Strecke und gehe beruhigt weiter in dem Wissen, wirklich nichts verpasst zu haben. Der verdatterte Blick war es allemal wert, auf dem Steilstück das Tempo etwas anzuziehen.
Blick zum Stausee Encoro da Fervenza
In der Ferne sehen wir nun bald den Stausee Encoro da Fervenza. Hier wird der Rio Xallas zu einem riesigen See angestaut. Dieser Anblick ist uns 2012 leider verwehrt geblieben, da es aus tiefen, schnell ziehenden Wolken heftig goss. Die kleine Bushaltestelle, in der wir uns damals unterstellten, als es am heftigsten war, gibt es noch. Mehr aus nostalgischen Gründen setzen wir uns kurz auf die schmale Bank in dem kleinen grünen Kasten aus Wellblech. Wir erinnern uns, wie wir damals überlegten, wie denn Grog eigentlich auf Spanisch heißt. Der anschließende Weg ist mir etwas aus dem Gedächtnis geraten.
kurz vor Ponte Olveira
Das mag daran liegen, dass wir von der Umgebung damals nichts mehr mitbekommen haben, weil es nur noch darum ging, heile anzukommen. Andrea hatte mit ihrem Gewicht nicht viel entgegenzusetzen und in ihrem Poncho bot sie eine große Angriffsfläche für den Sturm. Ich weiß noch, wie sie sich mit den Treckingstöcken abstützen musste, um nicht auf die Straße geweht zu werden. Ganz anders heute: Wir wandern über glühenden Asphalt und staubige Feldwege auf Ponte Olveira zu. Wie das Wetter doch den Eindruck einer Landschaft verändert. Dass es allerdings nach der Brücke über den Rio Xallas noch so weit ist, hätte ich nicht gedacht.
auf der Brücke über den Rio Xallas
Wie immer ziehe ich meine Geschwindigkeit so kurz vor dem Ziel noch mal an. Das passiert unbewusst. Ich merke aber, dass Andrea immer weiter hinter mir bleibt. Und so bekomme ich die lustige Begebenheit gar nicht mit, als sie kurz vor Olveiroa von einem Schotten angesprochen wird, der glaubt, dass sie aus seinem Heimatland kommt, weil er den Aufnäher vom West Highland Way an ihrem Rucksack entdeckt. Die Sache konnte schnell aufgeklärt werden. Und es gibt einen neuen Aspiranten für diesen herrlichen Weg durch die schottischen Highlands. Denn er war noch nie in Schottland wandern, was ich ihm gar nicht abnehmen kann. Manchmal liegt das Gute doch so nah.
neues Restaurant in der Albergue Horreo in Olveiroa
Wir wollen wieder in die Albergue Horreo, in der wir 2012 auch schon waren. Mein Erstaunen ist groß, als ich die Veränderungen bemerke. Dort, wo vor drei Jahren noch die Rezeption war und ein kleiner Laden, sind nun weitere Unterkünfte und Duschen für Pilger. Dort wo vor drei Jahren noch eine klapprige Scheune stand, befindet sich nun eine geräumige Bar und eine große Terrasse davor. Nur die roten Plastikstühle sind geblieben. Auf denen tummeln sich bereits viele Pilger, darunter einige bekannte Gesichter. Ich habe etwas Bedenken, hier noch zwei Betten zu bekommen. Denn viele Betten hatten die hier nicht, da ein großer Teil des Hauses als Pension genutzt wird. Wir bekommen aber noch ein Zimmer, müssen dieses jedoch mit drei älteren Spaniern teilen, von denen einer kurzerhand mein bereits von mir bezogenes Bett okkupiert, als ich das Zimmer kurz verlasse. Er dachte wohl, es gehört zum Service hier, dass einem das Bett mit der Einweg – Bettwäsche bezogen wird. Erst schimpfe ich zwar etwas in mich rein, bemerke aber schnell die Sinnlosigkeit. Ich wollte doch toleranter und ruhiger werden. Und es scheint zu klappen. Trotzdem bleibt er mir unsympathisch.
das Leben kann so schön sein!
Die Bar hat ein großes Angebot auf der Speisekarte. Tortilla ist in diesem Jahr bisher etwas zu kurz gekommen. Also bestelle ich mir eine Portion. Und dazu gibt es für uns beide einen Teller Pimentos, die in keinster Weise den originalen aus Padron nachstehen. Bei einer Flasche Vino Tinto de la Casa lassen wir den schönen Tag ausklingen. Ja das war ein richtig schöner Tag. Auch wenn er sehr anstrengend und lang war. Es ist bereits dunkel, als wir in das Zimmer mit den schnarchenden Spaniern schleichen. Mit verstopften Ohren klettere ich nach oben in mein neu bezogenes Bett. Schade! Morgen ist der letze Tag!
Gute Nacht!
Hier noch ein paar Eindrücke vom heutigen Weg:
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