von Porto nach Muxia – 12. Etappe – Santiago de Compostela – Negreira

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(Karte von OSM)

Die heutige Etappe sind wir 2012 schon mal gelaufen. Aber das wissen ja die aufmerksamen Leser meines Blogs bereits. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man vieles von seiner Umgebung intensiver erlebt, wenn man einen Weg mehrmals geht. Man nimmt sich mehr Zeit auf Nebensächlichkeiten zu achten, anstatt ständig in den Körper zu lauschen, wie gut es ihm heute geht oder nach Wegzeichen zu suchen. Meinem Körper geht es seit einigen Tagen bemerkenswert gut. Und darum sorge ich mich auch nicht um die zwei satten Anstiege, die wir heute zu bewältigen haben. Das Wetter verspricht uns wieder seine schönere Seite zu zeigen und Sorgen um die Unterkunft müssen wir uns sicher auch nicht machen, laufen doch erfahrungsgemäß wesentlich weniger Pilger weiter zum Meer.

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am Morgen im Hostal La Salle

Wir sind also allein ab heute. Ich möchte auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, dass ich mich bisher nicht wohl gefühlt habe mit unserer Begleitung. Es ist schön, wenn man am Abend jemanden hat, mit dem man über das Erlebte quatschen kann. Meine Erkenntnis aus diesem Weg steht aber schon seit langem fest: Wir gehen zukünftig wieder allein los. Was sich dann später auf dem Weg ergibt, wird sich zeigen. Denn ich denke mal, wenn es der Körper weiterhin her gibt, wird dieser Caminho Portugues wiederum nicht unser letzter Camino gewesen sein.

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am Morgen Ortsausgang Santiago

Gestern bin ich schlecht eingeschlafen. Mir gingen immer wieder die Ereignisse des Tages durch den Kopf. Was wäre wenn… Und woran lag es, dass ich vor der Kathedrale mich so gehen ließ? War es die körperliche Anstrengung? die Freude über den glücklichen Ausgang der Sache mit Jörg? die Freude darüber dass ich es trotz großer eigener Probleme am Anfang des Weges geschafft habe? oder war es alles zusammen? oder was ganz anderes? Das schwirrte mir im Kopf herum. Es heißt ja, dass jeder mal auf dem Weg irgendwann weinen wird. Ich brauchte dafür wahrscheinlich mehrere Anläufe. Vielleicht fühle ich auch deshalb heute eine Art Befreiung. Mir widerstrebt es, diese Befreiung darauf zu begründen, dass wir nun allein sind. Das würde unserer bisherigen Begleitung Unrecht tun. Doch irgendwie empfinde ich eine Erleichterung. Vielleicht habe ich aber nur etwas abgenommen (grins!).

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Monolith am Weg zum Atlantik hinter Santiago

Auf Grund des vorhergesagten Wetters und weil das so unsere Eigenart ist, stehen wir recht früh auf und machen uns fertig für den Weg, der uns hinter Santiago in Richtung Mauxia bringen soll. Im Gemeinschaftsraum stehen Automaten, denen ich zwei Kaffee und einige Schweinsohren mit Schokoladenüberzug entlocken kann. Die Frage weshalb ich den ganzen Instantkaffee seit Porto mit schleppe, kommt mir wieder in den Sinn. Den müssen wir zukünftig unbedingt reduzieren. Unten vor dem Hostal sitze ich nun und warte, bis Andrea ihre Morgenzigarette geraucht hat. Dann machen wir uns auf den Weg durch die dunklen Gassen des frühmorgendlichen Santiago. Selbst der Platz vor der Kathedrale ist noch völlig leer. Nur ein paar Straßenkehrer sind uns bisher begegnet. Das nasse Straßenpflaster kommt von den Kehrfahrzeugen, vor denen wir regelrecht auf der Flucht sind. Santiago macht sich wieder schön für den nächsten Pilger- und Touristenansturm. Nichts wie weg hier! Wie bereits geschrieben, wir fühlen uns beide nicht sonderlich wohl in diesem Moloch aus Touristennepp, Kegelvereinsausflüglern, religiösem Souvenirwahnsinn  und gespielter Frömmigkeit. Ich kann es nicht nachvollziehen, wie man hier mehrere Tage freiwillig verbringen kann, anstatt durch die Natur zu laufen. Unweigerlich denke ich an Jörg, der diesen Wahnsinn gezwungenermaßen nun fast drei Tage ertragen muss. Ich hoffe, er nutzt die Zeit sinnvoll und schläft sich mal richtig aus.

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Morgenrot über Santiago

Bergab geht es neben dem Parador hinunter in die Vorstadt. Hier wird es immer dunkler und am Ortsausgang muss ich sogar noch meine Kopflampe aus dem Rucksack holen. Erst am Ende des ersten Aufstieges beginnt es zu dämmern. Vor einem prächtigen Morgenrot zeichnet sich die Silhouette der Kathedrale ab. Genau so sah es hier auch 2012 aus. Und schon bemerke ich wieder, dass man unweigerlich beginnt zu vergleichen mit früher Erlebtem. Ob das ein Vor- oder Nachteil ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich empfinde es jedenfalls als positiv. Ich habe ein gutes räumliches Gedächtnis. Und so fällt es mir auch nicht schwer, mich dort besonders gut zurecht zu finden, wo ich schon mal war.

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Carballal

Wegweiser brauche ich hier eigentlich nicht mehr. Selbst die Entfernung zur nächsten Bar hab ich noch im Gedächtnis. Da sich so langsam das Schweinsohr aus dem Magen verabschiedet hat und sich die Leere darin immer mehr vergrößert, wird es nun auch Zeit, dass wir die erste Bar erreichen. Und richtig, in Portela finden wir diese Bar, an die sich auch Andrea noch erinnern kann. Hier saßen wir auch 2012 schon zum Frühstück. Damals kam diese Bar etwas überraschend. Denn kleine rote Schilder am Wegesrand verkündeten, dass es erst einige Kilometer weiter eine Bar geben würde. Diese finden wir dann im Gegensatz zu 2012 auch noch. Damals fühlten wir uns etwas veralbert, da es die weit vorher angekündigte Bar dann anscheinend gar nicht gab. Fast am Ende eines etwas unangenehmen Abschnittes dieser Etappe, Schnur – geradeaus an der AC-453 entlang, sehen wir sie nun jedoch in Augepesada, gehen aber vorbei.

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sehr steiler und langer Anstieg vor Carballo

Gleich hinter dem Ort, das weiß ich auch noch von 2012, geht es sehr lange den für heute anstrengendsten Anstieg hinauf. Ohne kurze Verschnaufpause schaffe ich den auch diesmal nicht. Erinnere mich aber, dass ich damals viel mehr Mühe hatte, hier hinauf zu kommen. Vielleicht auch ein Vorteil, wenn man den Weg kennt: Man resigniert nicht so schnell und sorgt sich nicht darum, dass die Kräfte zu Ende gehen könnten. Falls man sich noch erinnern kann, weiß man, wie lange es noch bergauf geht und kann so die Kräfte besser einteilen. Ich erinnere mich, dass es fast geschafft ist, wenn man die Asphaltstraße erreicht. Auch Andrea folgt sehr rasch nach und wir bewältigen die letzten Höhenmeter vor dem Ort Carballo gemeinsam. An solchen Aufstiegen gehen wir selten zusammen. Da hat jeder selbst seine Taktik. Rauf gekommen sind wir bisher immer. Und eigentlich ist es doch egal, wie lange man dafür braucht. Trotzdem habe ich manchmal den Eindruck dass einige den Camino mit einem Wettrennen verwechseln. Schneller, höher, weiter – so prahlen sie sich in den Vordergrund. Die müssen glaube ich noch viel lernen vom Camino und vom Leben.

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fast oben

Gleich hinter Carballo gibt es direkt an der Straße eine kleine Bar. Die ist schon von Fern zu sehen. Wir setzen uns an den noch freien Tisch, müssen jedoch die Beine etwas einziehen, da man sonst Gefahr läuft, von einem Auto an dieser unübersichtlichen Kurve überrollt zu werden. Ist wirklich nicht breit dieser Fußweg, auf dem die drei Tische aufgestellt sind. Ich gehe hinein und bestelle einen Kaffee und ein Bier. Das gönne ich mir heute bereits recht zeitig, da ich weiß, dass wir das schlimmste überstanden haben. Bis nach Negreira ist es nun fast eben und nicht mehr weit. Die Hitze macht uns aber zunehmend zu schaffen. Wir sitzen da und sehen, wie viele Pilger an uns grüßend vorbei ziehen. sehr viele! bemerkenswert viele! Man kann fast von einer Menschenkette sprechen, wie man sie auf dem Camino Frances erlebt. Nee, vor drei Jahren war es hier viel einsamer, sage ich zu Andrea. Sie meint auch, dass heute viel mehr Pilger hier unterwegs sind. Seltsamerweise mache ich mir trotzdem immer noch keine Sorgen um die Unterkunft, was völlig gegen meine Natur ist. Sollte ich das etwa überwunden haben?

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an der Puente de Maceira

An der Brücke von Pontemaceira mache ich wieder jede Menge Fotos. Auch von Motiven, die ich 2012 aus Zeitgründen nicht gefunden habe, worüber ich mich später sehr geärgert habe. Für Leser, die noch nicht dort waren: Das ist auf dieser Etappe wirklich der Höhepunkt.

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Weer an der Brücke von Pontemaceira

Direkt vor der Brücke wird mittels einer Barriere aus Felsblöcken der Rio Tambre angestaut, bis auf der gesamten Breite das Wasser über die natürlich wirkende Staumauer stürzt. Daneben befindet sich die mittelalterliche Brücke. Die Ponte Maceira, gleichzeitig auch Namensgeberin des Ortes, spannt sich in fünf großen und zwei kleinen Bögen über den Rio Tambre. Sie wurde im 13. Jahrhundert auf den Fundamenten einer alten Römerbrücke erbaut und war im Mittelalter ein wichtiger Übergang für Pilger, Kaufleute und Militär auf dem Weg von Santiago an den Atlantik und zurück. Neben dem Weer befinden sich am östlichen Ufer des Flusses ein Restaurant und auf der westlichen Seite eine alte Wassermühle und ein Gutshaus.
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Puente Maceira

Für mich ist die Puente de Maceira neben den Brücken von Puente la Reina und Hospital de Orbigo eine der beeindruckendsten, die ich bisher an den Jakobswegen gesehen habe. Entsprechend viel Zeit nehme ich mir dieses Mal auch, um sie fotografisch und filmisch in Szene zu setzen. Unterdessen wird es immer wärmer und wir eilen uns, der Hitze doch noch zu entkommen. Die letzten drei Kilometer fallen dann wie immer recht schwer und wir sind froh, als wir vor der Albergue San Jose in Negreira stehen. Hier waren wir bereits 2012 sehr zufrieden, haben also keinen Grund, uns was anderes zu suchen. Gebürtige Schweizer sind es, die diese private Herberge betreiben, was man unschwer am Dialekt erkennen kann, in dem man begrüßt wird. Da es nur zwei Euro mehr sind für ein Doppelzimmer, entscheiden wir uns kurzerhand für dieses. Ich weiß gar nicht, ob es die Doppelzimmer 2012 auch schon gab. Na ja, meine verhinderten Mitbewohner werden mein Schnarchen sicher nicht vermissen.

Rezeption Albergue Sa Jose Negreira

Rezeption Albergue Sa Jose Negreira

Die Zimmer befinden sich zwar in einem Nebenhaus, man hat jedoch die Möglichkeit den schönen Gemeinschaftsraum, den Garten und die große Küche mit zu nutzen. Wir kaufen für ein paar Euro Marken für die Waschmaschine und den Trockner. Denn es wird wieder einmal Zeit, dass unsere Klamotten eine richtige Wäsche über sich ergehen lassen und einen besseren Geruch annehmen. Während unsere Wäsche ihre Runden dreht, suchen wir im Ort einen Supermarkt. Wir gehen heute nicht essen, sondern machen uns für den Abend selbst was. Zum kochen habe ich allerdings keine Lust. Und beide haben wir auch keinen rechten Appetit auf was warmes. Also mache ich uns für den Abend und für den morgigen langen Tag ein paar Boccadillos mit Chorizo, Käse und Tomaten. Mit ner Büchse Bier, ner Flasche Rotwein und den Boccadillos sitzen wir nun im Garten der nur halb gefüllten Herberge.

IMG-20150925-WA0078Man, macht das satt! Bereits nach einer Hälfte meines Boccadillos bin ich voll. Für den morgigen Tag ist selbst das, was noch übrig ist zu viel, um es mit zu schleppen. Also bieten wir es kurzerhand Jakob an, der sich zu uns an den Tisch gesellt hat und unser Angebot dankend annimmt. Jakob kommt aus Halle an der Saale, also ganz aus unserer Nähe und ist mit dem Fahrrad in den letzten Wochen bis hier her geradelt. Er ist ein etwas schräger aber dennoch sehr netter und interessanter Typ und lange unterhalten wir uns noch bei der Flasche Rotwein mit ihm. Doch irgendwann wird es Zeit für das Bett. Jakob will morgen über Finisterre bis nach Muxia fahren und wir müssen Kilometer machen, um es in zwei Tagen bis nach Muxia zu schaffen. Vor drei Jahren sind wir zwar auch schon die lange Etappe bis nach Olveiroa gegangen aber nicht auf dem originalen Weg. Damals sind wir wegen eines Sturmes aus Angst vor umstürzenden Bäumen vorwiegend auf den Straßen geblieben. Dieses mal wollen wir nun sehen, was wir damals verpasst haben. Doch es sind trotzdem fast 36 Kilometer. Und da müssen wir wieder früh raus.

Also, gute Nacht und bis morgen!

 

Hier noch ein paar Fotos vom Tag:

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