Heute ist nun der letzte Tag angebrochen, an dem wir auf der Via Regia unterwegs sind. Sicher wäre es auch schön gewesen, weiter bis Vacha zu gehen. Wir sind aber auch noch nie auf dem Rennsteig gewesen, obwohl wir sehr oft den Thüringer Wald besuchen, da wir dort Freunde haben. Und so stehen wir 8 Uhr, also heute etwas später, wieder auf der Straße, um diese Etappe anzugehen. Sie verspricht mit der Überschreitung der Hörselberge etwas anstrengender und recht interessant zu werden. Warum heute so spät? Im Bodelschwingh – Hof gibt es ein hervorragendes Frühstück im Speisesaal und das wollten wir uns natürlich nicht durch die Lappen gehen lassen. Wir gehen nun wieder hinunter zum Ort Mechterstädt, um auf der am Vortag erkundeten Abkürzung wieder auf den Jakobsweg zu kommen. Auch an diesem Abzweig steht ein Wegweiser, wahrscheinlich für Pilger, die den Weg in umgekehrter Richtung gehen oder die den ersten verpasst oder übersehen haben.
Im nächsten Ort Burla verlassen wir dann die Betonpiste, die uns schon am Vortag etwas nervte und laufen auf der Ortsverbindungsstraße nach Hastrungsfeld. Zuvor überqueren wir aber die neue A4. Die alte Streckenführung der Autobahn ging zuvor direkt über die Hörselberge, war recht kurvenreich, schmal und dadurch natürlich auch sehr unfallträchtig. Diese Lage der sehr stark befahrenen Ost – West Verbindung zwischen Dresden und Kassel bzw. Frankfurt Main führte dazu, dass die Hörselberge als Ort der Erholung, des Naturerlebnisses und des Naturschutzes zunehmend an Bedeutung verloren. Der immer dichter werdende Verkehr mit seinen Begleiterscheinungen Lärm und Schmutz und der nicht mehr zeitgemäße Zustand der Fahrbahnen machten einen Neubau notwendig, für den es auf der alten Trasse aber keinen Platz gab, ohne nicht noch mehr das Biotop zu zerstören. Und so verläuft nun dank privater Investoren diese Autobahn weit entfernt im Norden um den Höhenzug herum. Ich kenne den alten Streckenabschnitt ganz gut und bin gespannt, ob es noch Reste der alten Autobahn gibt.
Ich weiß jetzt übrigens auch wo Frau Holle wohnt – in Hastrungsfeld. Jedenfalls steht hier ihr Briefkasten und es gibt ein Frau Holle Haus. Dies ist das ehemalige Schulhaus des Ortes, welches nun, da es nicht mehr benötigt wird, als Vereinshaus genutzt wird. In der Adventszeit findet hier auch das Frau Holle Fest statt, bei dem die alte Dame den Winter einläutet oder besser “einschüttelt”.
Wir nutzen aber den im unteren Bereich abzweigenden Waldweg, der zwar etwas steiler aber wesentlich kürzer und schöner ist. Mitten durch einen schönen Buchen- und Eichenwald führt der Pfad direkt bis zum Kammweg. Wenn man eine Bank am Waldrand erblickt, hat man es fast geschafft. Wir treten etwas schnaufend aus dem Wald heraus und staunen über die herrliche Aussicht hinüber zu den Höhenzügen des Thüringer Waldes, hinunter ins Tal der Hörsel und zu den Ortschaften Sattelstädt, Kälberfeld und Schönau. Wie auf einer Spielzeugeisenbahn liegt die Landschaft vor uns und wir sehen wie ein Zug gerade durch Kälberfeld fährt. Die B7 schlängelt sich im Tal durch die Orte und wenn man näher an den Abhang heran tritt, sieht man noch den Verlauf der alten A4 etwa 100 Meter tiefer. Nur noch Kiesberge sind übrig geblieben von dem ehemals lärmenden Asphaltband.
Einige Schritte weiter und wir stehen am Hörselberg -Haus. Ob die Gastwirtschaft schon geöffnet ist, überprüfen wir erst gar nicht. Für das Frühstück ist es noch zu zeitig. Hier zweigen viele Wanderwege ab, die durch das beliebte zirka 40 Quadratkilometer große Wandergebiet führen. Wir wählen den Kammweg, weil man da die schönste Aussicht genießen kann und weil es auch einen Wegweiser zum kleinen Hörselberg gibt. Immer wieder öffnen sich schöne Panoramen. Sogar die Wartburg ist schon am Ende des in Ost-West Richtung verlaufenden Tales zu sehen.
Zur Wartburg wollen wir morgen hinauf. Wir waren beide noch nie auf der Wartburg – eigentlich eine Schande, gilt sie doch als DIE deutsche Burg. Dann führt uns der Weg nach rechts in den Wald. Schmale verschlungene Pfade führen durch einen dunklen, tiefen Wald. Kein Wunder, dass hier viele Sagen und Mythen entstanden. Richard Wagner ist hier an der Venusgrotte zu seinem Tannhäuser inspiriert worden. Um das Hörselbergloch, wie die Venusgrotte auch genannt wird, entspann sich durch Volkssagen ein wahrer Frau Holle – Kult. In frühgeschichtlicher Zeit war für die hier lebenden Menschen der Höhenzug der Sitz von Naturgöttern und viele der Schauergeschichten hatten ihren Ursprung an diesem geheimnisvollen Ort. Dies ist alles nicht verwunderlich, läuft man doch durch den dichten dunklen Wald mit dicken, knorrigen Bäumen. Trotz hellen Sonnenscheins ist es unter dem dichten Blätterdach ziemlich dunkel und etwas unheimlich.
Hier und da gibt es zwar Wegweiser zum kleinen Hörselberg und auch ein paar Muschelschilder sind zu finden. Trotzdem haben wir uns verlaufen. An dieser Stelle sind wir statt nach rechts, links abgebogen. Und so sind wir viel zu zeitig herunter ins Tal abgestiegen. Ich weiß auch bis heute nicht, ob dort an diesem Abzweig ein Wegweiser stand. Doch so tragisch war das dann auch nicht. Denn wenn man sich im Tal an den Verlauf der Hörsel hält, kann man sich eigentlich nicht verlaufen. In Wutha treffen wir dann auch wieder auf den richtigen Verlauf des Weges. Als ich mir das zu Hause auf der Karte mal ansah, stellte ich fest, dass der Umweg gar nicht so groß war. Aber ich wäre eigentlich schon lieber so lange wie möglich auf dem Berg geblieben. Vom kleinen Hörselberg, der am richtigen Weg liegt, gibt es noch einmal eine schöne Aussicht. Die haben wir also leider auch verpasst.
Der anschließende Weg bis nach Eisenach verläuft lange an der Eisenbahnstrecke Erfurt – Eisenach entlang und durchquert parallel zur Hörsel einige Gewerbegebiete, was natürlich für den Wanderer nicht so attraktiv ist. Und dann ist plötzlich Schluss mit den Wegweisern. Ein Passant, den wir am Hauptbahnhof von Eisenach nach dem Weg fragen, führt uns leider in die Irre, oder besser in eine Sackgasse. Denn ein Baustellenzaun versperrt uns plötzlich den Weg. Auch mein sonst sprichwörtlich guter Orientierungssinn versagt hier. Ich war als Kind letztmals in Eisenach und kann mich an kaum etwas erinnern. Es hilft nichts, ich muss mein Handy aus dem Rucksack kramen und das Navi bemühen, ist gar nicht so einfach, da das Gerät in diesem engen Tal lange keine Satelliten findet.
Die Adresse des Neulandhauses hatte ich ja und nun sehe ich auf der Karte wenigstens die ungefähre Lage in der Stadt. Auf alle Fälle müssen wir in Richtung Wartburg bergauf gehen. Und wie es da bergauf geht! Aber ohne jemanden zu fragen, funktioniert es dann doch nicht. Wenn auch nur zur Sicherheit, damit wir nicht umsonst den Berg hinauf laufen. Dann haben wir das Neulandhaus entdeckt, am Rand einer sehr schönen Siedlung mit Gründerzeit – Villen. Und es ist wirklich das letzte Haus, bevor die schmale Katzenkopf – Pflasterstraße in einen Waldweg übergeht. Wie man hier im Winter hinauf kommt, bleibt mir ein Rätsel.
Das imposante gelbe Holzhaus ist die Bildungsstätte für Jugendarbeit der evangelischen Kirchen Mitteldeutschlands. Hier werden auch kostengünstige Übernachtungsmöglichkeiten für Eisenach – Besucher angeboten. Ach ja, Pilgern auf dem ökumenischen Pilgerweg wird gegen Spende natürlich auch eine Unterkunft gegeben. Ein junger Mann stellt sich als Leiter des Hauses vor und begrüßt uns herzlich. Das Zweibettzimmer in das er uns bringt, liegt im oberen Stockwerk und ist sehr klein aber gemütlich. Man hat eine schöne Aussicht auf Eisenach von hier oben. Die genügt uns natürlich nicht und so entschließen wir uns, den beschwerlichen Weg hinab in die Stadt und später natürlich wieder hinauf, in Kauf zu nehmen. Runter geht es natürlich etwas schneller und wir kommen genau auf dem Marktplatz heraus.
Hier fällt natürlich sofort die Georgenkirche ins Auge. Als wir in den Vorraum eintreten ertönt gerade Orgelmusik, leider nur die letzten Takte des Musikstückes. Danach ist Ruhe – leider. Wenigstens einen Blick durch die verglaste aber leider verschlossene Zwischentür können wir erhaschen. Wieder auf dem Markt, auf dem mir besonders das Rathaus gefällt, beobachten wir, dass die Stände des Wochenmarktes gerade abgebaut werden. Hier gibt es nun auch nichts mehr zu sehen. Also drehen wir noch einige Runden durch die belebten Gassen der Altstadt. Immer auf der Hut, ja nicht eine zu vergessen, biegen wir mal hier und mal da ab. Man kann schnell etwas übersehen. So zum Beispiel das “Schmale Haus” am Johannisplatz, Deutschlands wahrscheinlich schmalstes bewohntes Fachwerkhaus.
Aber irgendwann kommen wir zum dritten Mal am gleichen Geschäft vorbei. Oder liegt es daran, dass hier irgendwie alles gleich aussieht? Ich habe den Eindruck, dass sich Deutsche Innenstädte immer mehr ähneln und nur die Reihenfolge der Geschäfte den Unterschied macht. Ich weiß nicht, woran es liegt. Vielleicht tue ich der Stadt auch Unrecht. Aber irgendwie sagt mir Eisenach nicht sonderlich zu. Dieser Mischmasch von historischem Fachwerk, hohen Gründerzeit – Häusern und gesichtslosen “Lückenschließern” ergibt kein gemeinsames, homogenes Ganzes. Sicher ist Eisenach im Krieg stark beschädigt worden und viele solche Lücken konnten erst nach der Deutschen Wiedervereinigung geschlossen werden. Aber was da manchmal angerichtet wurde, sind nicht immer architektonische Höhepunkte und nicht jeder kann sich mit dem Geschmack der Städteplaner anfreunden. Das ist nicht nur hier in Eisenach so, auch bei uns in Leipzig, wenn ich da nur an das Bildermuseum auf dem Sachsenplatz denke. Doch zurück nach Eisenach: Entsetzlich finde ich zum Beispiel wie ein wirklich hübsches kleines Fachwerkhaus nur noch mit seiner Fassade aus einem Neubau “guckte”. Es sieht aus, als ob es jeden Augenblick erdrückt wird.
Am Karlsplatz treffen sich einige Straßen und so ist es nicht verwunderlich, dass wir auch hier mindestens drei mal am Luther – Denkmal und am Nikolaitor und der Nikolaikirche vorbei gehen. Für den Besuch eines Museums, wie zum Beispiel das Bach- oder Lutherhaus ist es bereits zu spät und so suchen wir uns nur noch ein kleines Kaffee, nachdem wir uns geeinigt haben, dass wir für das Abendessen etwas einkaufen und oben im Neulandhaus essen. So sitzen wir noch eine ganze Zeit in dem Kaffee und ordnen unsere Eindrücke über diese Stadt. So verklingt langsam unsere Hektik, die bei unserem Streifzug leider aufgekommen war.
Einige Zeit später schnaufen wir wieder den Berg hinauf. Oben angekommen, packen wir in einer Sitzecke vor dem Neulandhaus unsere Lebensmittel aus und essen zu Abend. Die übrigen Bewohner schauen zwar etwas verwundert zu uns herüber. Aber daran muss man sich gewöhnen, wenn man durch Deutschland pilgert. Der Weg wird zwar häufiger wahrgenommen als wir zunächst annahmen. Aber es gibt im Vergleich zu Spanien viele Leute, die etwas merkwürdig schauen, wenn man mit seinem Rucksack durch die Orte geht. Und so ziehen wir ein Resümee über diesen bisher zurück gelegten Weg, den wir ja morgen verlassen wollen.
Buen Camino, wünschen Andrea und Gert aus Delitzsch.