
endlich Sonne – wir ziehen die Jacken aus
Was ist ein pilgergerechter Weg? Er sollte schon die Sehenswürdigkeiten tangieren, jedoch die großen stark befahrenen Straßen und damit Lärm und Staub meiden. In Leipzig z.B. ist das nur teilweise gelungen. Der Weg durch die Ostvorstadt ist alles andere als schön, auch wegen sozialer Brennpunkte wie die Ernst Thälmann Straße, die man durchläuft. Hier rate ich die Bimmel zu nehmen. Die Leipziger sagen zu ihrer Straßenbahn “Bimmel” (Erklärung für nicht Wissende!). Hier in Chemnitz geht es weiter im Zickzack über Nebenstraßen an der St. Markuskirche vorbei.

St. Markuskirche Chemnitz
Der Helle Fleck da oben, das scheint die Sonne zu sein! Und das dunkle schräg vor uns unsere Schatten. Das kann ja nicht wahr sein! Kurze Zeit später müssen wir Halt machen und die Jacken ausziehen, so ballert die Sonne vom Firmament. Kurz vor dem Zentrum machen wir auf einer langen Bank noch mal Pause und genießen die lang herbei gesehnten Sonnenstrahlen. Die Innenstadt von Chemnitz ist eine Zusammenwürfelung von einigen erhaltenen bzw. wieder aufgebauten historischen Gebäuden wie dem Rathaus und modernen Glaspalästen der Handelsriesen. Ist zwar interessant aber vom Hocker haut es einen nicht gerade. Wir kommen uns auch etwas deplatziert vor mit unseren Rucksäcken und den schlammigen Hosenbeinen. Wo wir noch unbedingt rein müssen, ist die St. Jakobikirche. Und die ist sogar offen. Die St. Jakobikirche ist eines der wertvollsten Baudenkmäler von Chemnitz. Sie wurde in mehreren Bauabschnitten zwischen 1350 und 1412 errichtet. Davor konnte durch Grabungen eine romanische Kirche an gleicher Stelle nachgewiesen werden. Wie die gesamte Innenstadt fiel auch die Kirche dem Bombenangriff der Alliierten am 5. März 1945 zum Opfer.

St Jakobikirche Chemnitz
Ab 1949 konnte zumindest der Chorraum wieder zu Gottesdiensten verwendet werden. Der komplette Wiederaufbau und die Ausstattung es Langhauses zogen sich jedoch mit langen Unterbrechungen bis 2009 hin. Der Innenraum wirkt recht nüchtern. Nur der Chorraum ist mit starken Kontrasten an den Säulen und Netz- bzw. Kreuzrippengewölben farblich abgesetzt und dadurch etwas auffälliger. In Deutschland einmalig sind die prachtvollen Maßwerkfriese unter den Fenstern, die um 1880 entstanden. Hier müsste eigentlich irgend wo ein Pilgerstempel sein. Leider ist niemand zu finden, den wir fragen können. Nur ein Besucher durchstreift wie wir den Kirchenraum. Nichts zu finden – leider. Und so verlassen wir dieKirche, nachdem ich einige Fotos gemacht habe.

das Rathaus von Chemnitz
Der weitere Weg aus der Innenstadt ist gesäumt von Neubauten, in denen sich ein Geschäft an das andere reiht. Wir überqueren den Inneren Ring, gehen über die Chemnitz auf die linke Uferseite und durchstreifen noch einige nicht so schöne Gewerbe- und Wohnanlagen. Wieder auf der anderen Seite des Flusses betreten wir aber nun den Stadtpark. Dieser zieht sich durch die gesamte Südstadt von der Chemnitz durchflossen bis zum Stadtrand. Viele Spaziergänger, Jogger und Radfahrer queren unseren Weg und man meint schon weit außerhalb der Stadt zu sein. Nur abgeschwächt ist noch der Lärm der Stadt zu vernehmen. Nein, hier gefällt es uns richtig gut. Und so nehmen wir am kilometerlangen Weg durch den Wald mehrmals auf Parkbänken Platz, um die Umgebung und den Sonnenschein zu genießen. Der Himmel ist inzwischen fast wolkenlos. Irre, wie schnell sich das Wetter ändern kann. Nur zwei mal kreuzen wir eine Straße auf unserm Weg durch den Park, davon einmal unter der Brücke hindurch.

das muss auch mal sein
Die Toilettenbenutzung ist hier übrigens sehr preiswert. Für diese Errungenschaft der Neuzeit haben wir pro Sitzung nur 30 Ct. bezahlt. Der Toilettenautomat, der sich nach jeder Benutzung übrigens automatisch selbst reinigt, wirft einen jedoch nach 15 Minuten wieder raus. Dann geht die Tür wieder auf. Andrea hat ein gespaltenes Verhältnis zu Automaten. Und so ist sie sichtlich erleichtert als sie das Etablissement verlässt, nicht nur weil sie ihre Notdurft verrichten konnte, sondern vor allem weil die Türe sich wirklich auf ihr Verlangen wieder öffnet.

Wasserschloss Klaffenbach
Wie eine Hochzeitstorte steht der quadratische Renaissance – Bau mit den auffällig geschwungenen Giebeln und dem Kielbogen förmigen Dach auf einer Insel. Den Wassergraben um das Schloss füllt das Wasser der Würschnitz.

das ehemalige Rittergut
Zum Eingang des Schlosses führt eine etwa 30 Meter lange Steinbrücke. Interessant ist, dass dieses Schloss keiner adlige Herkunft ist. Ein reicher Münzmeister aus Annaberg baute zwischen 1555 und 1560 dieses Schloss, nachdem er die Orte Burkhardsdorf, Klaffenbach und Neukierchen vom damaligen sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich dem 1. erwarb. Der muss damals recht klamm im Portemonnaie gewesen sein oder der Münzmeister unermesslich reich. Doch nach 1615 wurde der Besitz dann doch gräflich. Ein Freiherr und späterer Graf von Taube erwarb ihn. Die Erben des Münzmeisters konnten mit dem Schloss anscheinend nichts rechtes anfangen. 1819 wurde es wieder bürgerlich im Schloss. Ein Schneeberger Kaufmann erwarb es. 1926 wurde der Besitz kommunal. Die Kommune brachte hier den Reichsarbeitsdienst unter und zu DDR Zeiten fiel den Machthabern nichts besseres ein, als hier einen Jugendwerkhof für Mädchen zu betreiben. In dieser Zeit verfiel das Gelände zusehends. Mit europäischen Fördergeldern wurde das gesamte Areal von 1991 bis 1995 aufwändig restauriert. Und so erstrahlt es heute wieder wie in alten Zeiten (nehme ich mal an!) Auch die Hochwasserereignisse 2002 und 2010, bei denen das gesamte Areal unter Wasser stand, konnten daran nichts ändern.

Golfplatz am Schlosshotel
Wenn man das Schlossareal in südlicher Richtung durch einen weiteren Torbogen verlässt, sieht man sofort, dass hier auch der Sitz des hiesigen Golfclubs ist. Rechts und links des Weges erstrecken sich die Golfplätze. Zwischen den Golfplätzen führt uns der Weg zu einem Wald und dann nach Adorf. Hier sehe ich auf der Karte, dass es am Ortseingang eine Einkaufsmöglichkeit gibt. Ein großes Netto – Schild leuchtet uns entgegen. Und weil wir nicht wissen, wie die Versorgungslage in Jahnsdorf ist, entschließen wir uns noch etwas einzukaufen. Ich warte draußen, da solche Kaufhallen mich nerven. Ich hoffe, dass Andrea daran denkt, dass wir noch ein paar Kilometer vor uns haben und schränkt sich etwas ein. Tut sie. Im Einkaufskorb ist noch viel Luft. Auf den letzten recht beschwerlichen Kilometern bis Jahnsdorf schleppe ich mich aber trotzdem zusätzlich mit einer Flasche Rotwein, einigen Semmeln und etwas Obst im Rucksack ab. Jahnsdorf liegt langgestreckt in einem Tal. Der Weg führt jedoch oberhalb des Ortes fast an ihm vorbei. Erst fast vor dem Ende geht es durch enge Kurven steil hinab in den Ort.

wir sind angekommen (für heute)

Stempelstelle Peger
Der Weg geht direkt an der Kirche vorbei, die aber wie die meisten ebenfalls verschlossen ist. Da wir über den Friedhof etwas abkürzen, können wir auf der Straße nicht sehen, in welche Richtung es nun weiter geht. Wir fragen einen Herrn, der gerade Rasensteine setzt, wo den hier die Familie Peger wohnt und er weist uns bergan: “Gar nicht mehr weit auf der linken Seite.” Das Haus von Herrn Peger ist nicht zu übersehen, ein schöner Dreiseitenhof, vor dem einen Steintafel mit einer Muschel und der Aufschrift “Santiago de Compostela 3000 km” steht. Was ich von solchen Entfernungsangaben halte, habe ich ja bereits gesagt. Auch diese ist sicher auch nur symbolisch gemeint. Auf der rechten Seite des Hofes steht ein Haus, dessen Obergeschoss mit dunkelrot gestrichenem Holz verkleidet ist. Das war sicher die Scheune früher. Ein hölzerner Pilgerkamerad, der im Eingang steht, lässt vermuten, dass sich hier drin die Pilgerunterkunft befindet. In der Hand hält der Holzkamerad eine Lampe, einen Reisigbesen und eine Tabakspfeife. Vor der Brust hängt ein Brett mit einem Muschelaufkleber. An einer Leine baumelt der Pilgerstempel. Das ist mal ne einfallsreiche Stempelstelle. Wir ziehen schon mal die Schuhe aus und da kommt auch schon Herr Peger. Er redet unablässig, jedoch nicht mit uns. Dann sehe ich den kleinen Knopf im Ohr mit seiner Gegenstelle. “Komme gleich!” ruft er uns zu. Oh je, so mein erster Gedanke, er hat so einen Weg auch mal wieder nötig. Aber um so einen Hof in Schuss zu halten, da muss man schon sehr fleißig sein. Und dann nimmt er auch

erster Stock rechts die Ferienwohnung im Dachgeschoss die Pilgerzimmer
noch Pilger auf – meine Hochachtung! Geduldig erklärt er uns dann was Fakt ist. Die Pilgerunterkunft ist noch nicht fertig. Da werden gerade Fliesen im Bad gelegt. “Aber keine Angst, ihr bekommt zum gleichen Preis (hier 15€) die Ferienwohnung.”

eins der beiden Pilgerzimmer
Wir sind platt, als wir diese betreten. Hier hält man es aus! Aber eben nicht pilgergerecht! Viel zu viel Luxus! beschwere ich mich. Herr Peger erklärt uns dann noch alles, wo die Getränke stehen und wo wir uns einschreiben sollen und wo die Kasse des Vertrauens steht.

unsere Unterkunft
Auf dem Hof zeigt er uns noch seine neusten Werke: Ein überdachter Grillplatz, einen kuriosen Saunawagen einen Badezuber mit integriertem Holzofen und ein Abkühlbecken, ebenfalls aus Holz. Alles ist sehr durchdacht und mit viel Liebe angelegt. “Hier steckt viel Arbeit drin.” sage ich. Er nickt nur ” na frage nich!” Nach den üblichen Abläufen (duschen bzw. hier Baden in einer richtigen Badewanne, Wäsche waschen und Abendessen – Andrea hat große Sandwiches mit Kochschinken und Tomate gemacht) setzen wir uns noch auf den Hof mit der Flasche Rotwein, die ich heile hier her getragen habe und ich genehmige mir noch zwei Flaschen Bier. Herr Peger kommt noch mal vorbei, nicht lange, denn sein Handy klingelt schon wieder.
Die Fotos werden mit Genehmigung von Herrn Peger veröffentlicht.