Wir wälzen uns aus den Betten, die mit ihren viel zu weichen Matratzen wie befürchtet die Bandscheiben malträtiert haben. Bei jeder Bewegung (und ich drehe mich nachts wie ein Brummkreisel im Bett!) schwang diese Koje heftig nach, so dass man befürchten musste, seekrank zu werden. Und so ist dies in einer späteren Bewertung, die mir vom Buchungsportal zugesandt wurde, auch der einzige Kritikpunkt, den ich angeben wollte. Ansonsten haben sich die Wirtsleute alle Mühe gegeben, dass es uns gut geht. Für diesen Preis kann man sehr mit der Unterkunft zufrieden sein. Wie gesagt, wir sind da auch nicht sonderlich wählerisch.
“Ich will sowieso in die Hütte. Und da kann ich Euch natürlich mitnehmen”, sagt er zu unserer Freude. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Irgendwie ist auch die Luft raus. Ich habe genug Wald gesehen. So schön die Umgebung ist, sie ist eintönig, ringsum nur Bäume! Ich rufe damit sicher die Liebhaber des Rennsteigs auf den Plan. Aber mir ist dieser Weg auf dem bisher zurück gelegten Abschnitt zu langweilig. Mir fehlten die Ortschaften und die weite Sicht. Die hätte man heute eh nicht bei dem Wetter. Ab und zu wäre es sicher möglich gewesen, sind doch die Kahlschläge, die auch hier “Kyrill” hinterlassen hatte unübersehbar. Das Auto saust im Regen die Serpentinen hinauf und ruck zuck sind wir wieder auf dem Rennsteig. Zu Fuß hätten wir dafür sicher zwei Stunden benötigt. Wir bedanken uns ziehen eingehüllt in unsere Regenklamotten unseres Weges. Kurz nachdem uns Herr Schuchardt abgesetzt hat, kommen wir an einer Schutzhütte vorbei. Da liegen doch tatsächlich ein paar Leute eingemummelt in dicken Schlafsäcken auf dem Boden zwischen den Sitzbänken. Es ist bereits nach 9 Uhr. Sie hatten wohl auch keine Lust auf dieses Wetter. Wir grüßen laut und ernten dafür nur Gemurmel und ein paar Blicke aus halb geöffneten verschlafenen Augen.
Der erste Punkt, den wir heute ansteuern, ist laut der vielen grünen Wegweiser die Ebertswiese. Sie ist laut Beschreibung eine der schönsten Bergwiesen des Thüringer Waldes. Ihren Namen erhielt sie von Eberhardt (von wem auch sonst?), dem ersten Abt von Georgenthal. Die Ebertswiese beherbergt eine vielfältige Flora aus Borstgras sowie Stauden- und Quellfluren mit zahlreichen schönen Wiesenblumen. An der Ebertswiese überzogen einst alte Straßen den Gebirgskamm und verbanden die Handelsmetropolen und Messestädte Frankfurt, Nürnberg, Erfurt und Leipzig. Von den Straßen sind nur noch Wanderwege übrig geblieben, die heute mächtig aufgeweicht sind und auf denen wir den Pfützen ausweichen müssen. Auch die Aussicht ins Tal, die sonst wahrscheinlich hier möglich gewesen wäre, wird uns des Wetters wegen wieder verwehrt. – Ein sch… Tag! Ihr merkt schon, so glücklich bin ich an diesem Tag nicht.
Meine Stimmung hellt sich etwas auf, als wir auf eine lustige Wandergruppe aus NRW trefen. Wir kommen ins Gespräch, weil wir uns immer wieder gegenseitig überholen. Sie machen jedes Jahr in Deutschland eine andere Tour und in diesem ist eben der Rennsteig dran und sie sind voll des Lobes. Die sind wirklich lustig. Die eine Hälfte ist recht zügig unterwegs, wartet aber dann auf den Rest im nächsten Unterstand – auf die “Fußlahmen”, wie sie die Nachhut bezeichnen. So können die ersteren sich immer mal ausruhen, während die “Fußlahmen” immer kürzere Ruhephasen haben. Das besserte deren Situation natürlich auch nicht. Die Abstände werden immer größer. Und beim Aufeinandertreffen der Gruppen gibt es immer wieder nicht so ernst gemeinte lustige Auseinandersetzungen. Wir liegen da so mittendrin, nicht so schnell wie die ersten aber auch nicht so lahm wie die letzten.
Die neue Ausspanne kennzeichnet wiederum die Überschreitung des Kammweges durch eine alte Handelsstraße. Von einem Pass möchte ich bei diesen Höhen eigentlich noch nicht sprechen, obwohl in den Zeiten vor der Motorisierung Vorspanndienste nötig waren, damit die Kutschen von Schmalkalden her es den Berg hinauf schafften. Womit nun auch der Name dieses Platzes erklärt ist. Eine Postlinie von Nürnberg nach Leipzig wurde hier entlang bis ins 19. Jahrhundert betrieben. Hier reiste auch der Reformator Martin Luther von einer Tagung des Schmalkaldischen Bundes im Februar 1537 über den Kamm des Thüringer Waldes. Ein Steinleiden plagte ihn, wie auf einer Informationstafel steht. Ja, ja, der alte Luther, der war auch viel unterwegs. Und manchmal muss man glauben, dass er 150 Jahre alt hätte werden müssen um das alles zu bewältigen, wenn man die damalige Art des Reisens und die vielen Erinnerungsorte seines Wirkens sich vor Augen hält. (Ähnlich geht es mir übrigens mit Goethe.) An dieser Wegkreuzung gibt es heute statt Pferdeställen einen großen Parkplatz und wir finden (auch deshalb) einen geöffneten Imbiss vor. Der kommt gerade recht für zwei heiße Kaffee. “Viel ist heute hier nicht los!”, so die einzige Meinungsäußerung des wortkargen Imbissbetreibers. Wir sind froh, dass er trotzdem auf gemacht hat. Auch wenn es mich wundert, weshalb gerade so ein missmutiger Zeitgenosse sich ausgerechnet in einen Imbiss stellt, wo man doch da tagtäglich mit Menschen zu tun hat. Aber man kann es sich im strukturschwachen Thüringer Wald nicht raus suchen. Oder es ist ihm gerade an diesem Morgen eine Laus über die Leber gelaufen.
Kurz vor dem Genzadler dann doch noch ein paar Ausblicke in Richtung Oberschönau und Steinbach – Hallenberg. Und ich glaube auch einige blaue Stellen zwischen der grauen Wolkensuppe zu erkennen – ein Lichtblick für das Wochenende bei unseren Freunden, bei denen wir ja nicht den ganzen Tag im Haus verbringen wollen. Als wir dann auf die ersten asphaltierten Skirollerstrecken treffen, wissen wir, dass es nicht mehr weit ist bis zum Wintersportort Oberhof. Die Gebäude auf dem Gelände des Olympiastützpunktes tauchen rechts von uns aus dem Wald auf, nachdem wir mehrere solche Rollerstrecken gekreuzt haben. Auf großen Schildern wird immer wieder vor den trainierenden Sportlern gewarnt. Der Name Grenzadler rührt von den preußischen Grenzsteinen her, auf denen der Preußenadler zu erkennen ist. Ja bis hier hin hatten die Preußen mal was zu sagen. Heute bestimmt hier der Leistungssport was läuft.
Riesige betonierte Flächen mit Parkplätzen, die mit ihren Leitsystemen an Flugplätze erinnern, künden von der Nähe der DKB Ski Arena. Hier finden alljährlich die Weltcup – Rennen im Biathlon statt. Auch eine Weltmeisterschaft, gab es hier in dieser Sportart 2004. Da wurde natürlich mächtig aufgerüstet. Auch die Skisprung – Schanzen, die Rennrodel- und die Bobbahn sind weltbekannt. Oberhof ist nach Erfurt und Weimar die am meisten besuchte Stadt Thüringens. Die Massen wollen natürlich untergebracht und verpflegt werden. Und sie müssen natürlich Platz für ihre Autos finden. Das ist die Kehrseite der Medaille, denn so richtig schön sieht das hier oben heute im und um den staatlich anerkannten Luftkurort Oberhof nicht mehr aus. Also schnell weiter, das Ziel ist nah. Man kann ja nicht von jedem verlangen, dass er wir wir zu Fuß von zu Hause hier her läuft.
Die Zielgerade besteht noch einmal aus einem langen schweißtreibenden Aufstieg, dem bis zum Rondell aber ein entspannendes leichtes Gefälle folgt. Der Verkehrslärm auf der stark befahrenen Schmalkalder Straße ist schon von Weitem zu hören. Sie führt in Serpentinen von Oberhof kommend über Zella – Mehlis hinunter nach Suhl. Früher quälte sich mein Trabbi ab Luisenthal die Katzenkopf – Pflasterstraße hinauf. Hinunter nach Suhl wurden dann immer die Bremsen heiß. Das war immer ein echter Höhepunkt auf der Strecke und eine Herausforderung für die 26 PS, die unter der Duroplast -Haube lautstark ihr Werk verrichteten. Heute kaum noch vorstellbar. Die 240 Straßenkilometer von zu Hause bis hier her bedurften damals immer einer intensiven Vorbereitung der “Pappe”. Fast so wie eine Wanderung zu Fuß hier her.
Angekommen auf dem Parkplatz am Rondell, warten wir nun auf das Eintreffen meines Freundes und beobachten dabei das Gewimmel von Touristen aus Bitterfeld (so stand es jedenfalls auf dem Bus, mit dem sie ankamen) um zwei mit Kaltblütern bespannte Kutschen. Die haben sich die Ausfahrt sicher auch anders vorgestellt. Die Planwagen sind mit Folien vor dem Regen geschützt und man sieht sicher gar nichts von der Umgebung, Doch ich glaube, da ist viel Alkohol im Spiel. Die Truppe versucht gerade sich den Tag schön zu saufen. Und so fahren die Leute mit überschwänglicher aber für uns kaum erklärbarer Fröhlichkeit an uns vorbei und verschwindet in Richtung Schmücke. Wenig später taucht dann auch Moni, die Frau meines Freundes auf, um uns abzuholen. So richtig glaubt sie es immer noch nicht, dass wir von zu Hause hier her gelaufen sind und hält Ausschau nach unserem Auto. Doch der Parkplatz ist leer.