Heute nun eine Etappe, die verspricht etwas ebener zu werden. Dafür geht es immer mal über Asphalt, was mich aber nicht besonders stört, da man dann die Möglichkeit hat, mal etwas entspannter zu laufen und sich im Gehen die Gegend zu betrachten. Man nicht dauernd auf den Weg und die Füße achten.
Ganz unten das Video zur Etappe !
In der Pension gibt es Frühstück. Und nachdem wir uns den obligatorischen Kaffee con Leche grande oder solo zusammen mit einem Croissant einverleibt haben, gehen wir los. Es ist noch recht dunkel und die Lichter von Cadavo Baleira sind noch lange hinter uns zu sehen. Am Horizont bildet sich ein orangefarbener Streifen, der immer breiter wird und bald die ganze Umgebung erleucht. Das verspricht wieder ein schöner sonniger Tag zu werden. Hinter Cadavo steigt das Gelände nochmals etwas an, so dass wir die Morgen – Kühle kaum spüren. Wir laufen uns gerade warm.
Dann geht es recht bequem und leicht abfallend durch ein ausgedehntes Waldgebiet. Kurz vor Vilabade betrachten wir uns eine recht große Kirche, die mitten in einem kleinen Wäldchen steht und vor der sich in viele Tische und Bänke befinden. In Anbetracht der Größe des Geländes, muss sie sehr bedeutend sein. Über dem Eingang sind drei interessante Wappen angebracht und an die Tür des Seiteneingangs hatte jemand ein großes Holzkreuz angelehnt. Das sieht alles sehr interessant aus und weckt unsere Neugier. Leider ist auch diese Kirche wie die meisten hier verschlossen. Anders in Vilabade. Zu unserer Überraschung ist die für den kleinen Ort recht überdimensionierte Kirche offen. Eine nette Frau begrüßt uns und verteilt Stempel in unsere Pilgerpässe, was wir immer gerne in Anspruch nehmen. Denn im Vergleich zum Vorjahr, ist ja genügend Platz für die Stempel im Pilgerpass. Auf dem Camino Frances mussten wir in Astorga unseren Credencial verlängern, in dem wir einen neuen kauften, das erste Blatt abschnitten und den Rest mit Pflaster an unseren vollgestempelten anklebten. Im Pilgerbüro in Santiago hatte man damit übrigens kein Problem. Jörg erzählte uns in diesem Zusammenhang eine lustige Begebenheit von seinem ersten Camino aus dem Jahre 2010: Eine Frau aus Deutschland, die den Credencial allem Anschein nach als besonders gefährdet betrachtete, hatte Angst davor, dass dieser nass wird und hat ihn zu Hause ein laminiert. Er blieb zwar schön sauber und trocken aber ein Stempel hatte keine lange Überlebenschance.
Doch nun weiter zum Weg:
Wir betrachten uns den üppig ausgestatteten Kirchenraum, hinterlassen eine kleine Spende und wandern guter Dinge weiter. Plötzlich dringen ungewohnte Geräusche an unsere Ohren. Wir laufen gerade an einen weißen Eisenzaun eines gepflegten Grundstückes entlang und versuchen die Quelle des nun deutlichen Gesanges zu orten. Die Musik kommt aus einem Baum. Der Besitzer hat darin einen Lautsprecher versteckt und überträgt für alle Vorbeikommenden laut vernehmbar eine Morgenandacht. Wir bleiben eine Weile stehen und lauschen, gehen aber dann etwas ratlos weiter. Was das wohl zu bedeuten hat? Die verhältnismäßig großen Kirchen, das große Gelände weit außerhalb des Ortes und nun die öffentliche Übertragung einer Messe aus einem Apfelbaum, wir müssen uns hier in einer sehr frommen Gegend befinden. Außerdem ist Sonntag. In Castroverde fällt uns am Ortseingang sofort die neue Herberge auf. Hier ist alles schon ausgeflogen und man war dabei rein Schiff zu machen. Im Ort folgen wir nicht weiter den gelben Pfeilen, sondern gehen weiter der Hauptstraße folgend in den Ortskern, auf der Suche nach einer offenen Bar. Diese finden wir in der Nähe des Kirchplatzes und es herrsche bereits rege Betriebsamkeit. Während die Bars um diese Zeit am Frances fast ausschließlich von Pilgern belagert werden, sind es am Primitivo eher Einheimische, die bereits am Vormittag ihre Zeit hier verbringen, Zeitung zu lesen oder lautstark über den Inhalt der Zeitungen zu diskutieren. Für mich hört sich das eigentlich immer an, als ob man streitet, wenn sich mehr als zwei Spanier miteinander unterhalten. Alle sprechen gleichzeitig in einer enormen Lautstärke und in einer rasanten Geschwindigkeit. Und jeder scheint jeden zu verstehen. Ohne zu wissen, worum es dabei geht, lausche ich fassungslos. Natürlich wird das Stimmengewirr auch in dieser Bar von einem laufenden Fernseher übertönt.
Aha, nun wird es auch auf dem Weg betriebsamer. Wir nähern uns der 100 Kilometer Marke und schon tauchen die ersten „Buspilger“ auf. Ein großer Reisebus hält direkt auf dem Kirchplatz und spuckt etwa 40 mit Muscheln und Wanderstäben geschmückte Pilger aus. Ihr winziges Gepäck verrät uns aber, dass sie es nicht so weit haben. Sie stellen sich nun zu einer Andacht vor dem Rathaus am Kirchplatz auf. Wir grüßen freundlich, als wir schnellen Schrittes an der Menge vorbeiziehen. Wir wollen uns einen kleinen Vorsprung verschaffen, um nicht mit der lärmenden Masse wandern zu müssen. Das kennen wir vom Frances, wo es sehr viele solche Gruppen gab. Doch wir haben keine Chance. Schon nach kurzer Zeit holen uns die ersten ein. Und ich bin mir heute noch nicht sicher, worum es bei diesem „Rennen“ ging. Jeder der Gruppe wollte wahrscheinlich Erster in Lugo sein oder es war ein Preis ausgeschrieben. Anders kann ich mir diese Gangart nicht erklären. Ein wenig grotesk sieht das ganze schon aus. Ich bemühe mich trotzdem Toleranz zu wahren, auch weil ich die Motive dieses Unternehmens ja nicht kenne. Doch die Ruhe, die wir auf dem Primitivo so zu schätzen gelernt hatten, ist dahin. Uns bleibt also nichts weiter übrig, als eine größere Pause einzulegen, um abzuwarten, bis der Spuk vorbei ist.
Dies tun wir dann vor Moreira auf einer auffallend blau gestrichenen Bank an einer kleinen Brücke, die plötzlich am Wegesrand steht. Wir essen unseren Proviant fast völlig auf und ich kann auch endlich das Trockenobst, das ich schon seit Oviedo mit mir als Notreserve rumschleppe, an den Mann bringen. Wieder etwas weniger Gewicht auf dem Rücken…
Die Reihe der „Buspilger“ zieht sich in die Länge. Abgeschlagen, ohne Aussicht auf den Sieg kommen immer noch Nachzügler. So oft „Buen Camino“ haben wir bisher auf dem gesamten Weg nicht gesagt, so mein Eindruck, der natürlich etwas übertrieben ist. Irgendwann gehen wir dann auch weiter, denn wir wollen ja auch irgendwann in Lugo ankommen, wenn auch ohne Aussicht auf den Sieg. Dann schon eher wegen des Wetters. Denn der rasche Temperaturanstieg um 14 Uhr ist sicher vorhersehbar. Der weitere Weg verläuft ohne größere „Störungen“. Eine kleine Rast gönnen wir uns noch einmal an einem Getränkeautomaten in einem Dorf, dessen Namen ich nicht mehr ergründen kann, da hier das GPS in meiner Kamera keine Daten mit dem Foto speicherte. Auffallend ist hier, dass es allem Anschein nach eine Zucchini- oder Kürbisschwemme gegeben haben musste. Ob Zucchini oder Kürbis, kann ich nicht genau erkennen. Die Form ist eher die von Zucchini, die Größe spricht aber eher für Kürbisse. Jedenfalls liegen überall diese riesen Dinger zum Mitnehmen rum, selbst auf dem Monolithen mit der Muschel. Während ich noch darüber sinniere, wir ich Kürbisse von Zucchini unterscheiden kann, wäre ich doch fast eingeschlafen auf meiner Bank. Doch der Weg nach Lugo ist noch weit und je länger die Pause ist, umso schwerer fällt es, den Körper wieder in Bewegung zu kriegen. Man wird eben nicht jünger…
Plötzlich wieder ungewohnte Laute, von Fern höre ich das Hämmern eines Basses, dann eine E-Gitarre, dann eine Schlagzeug und ein Keyboard. Eine Band stimmt sich allem Anschein nach für ein Dorffest ein. Eine große Freilichtbühne und ein Festzelt stehen etwas abseits des Weges auf einem großen Platz. Salsa – Rhythmen dringen durchs Dickicht – alles klingt recht professionell und macht Lust auf´s Zuhören. Aber wie schrieb ich schon? – Ein Pilger ist lauffaul. Und so lassen wir die Szenerie rechts liegen und gehen tapfer weiter. Aus allen Ecken der weitläufigen Streusiedlung kommen uns die „Dorfschönheiten“ entgegen. Sie haben sich mächtig aufgedonnert und manche verströmen einen Parfüm – Duft, der einem den Atem nimmt.
Kurz vor Lugo, es ist unterdessen wieder sehr warm geworden, müssen wir dann noch eine Zwangspause einlegen. Jana ist am Ende ihrer Kräfte und schleppt sich mit klitzekleinen Schritten hinter uns her. Mit Engelszungen versuchen wir ihr wieder neuen Mut und neue Kraft einzureden. Je langsamer sie läuft, umso länger ist sie der Hitze ausgesetzt. Kurz vor der Autobahn verlässt man den schattenspendenden Wald und ist auf einem gleißend hellen Schotterweg ungeschützt der Sonne ausgesetzt. Das schlaucht mächtig und nach diesen über 32 Kilometern sind wir froh, als wir auch Jana wohlbehalten in der Herberge hatten. Diese erweist sich als noch ausreichend aufnahmefähig, sehr modern und großzügig eingerichtet. Soll heißen, dass die Betten nicht so dicht beieinander stehen, dass man befürchten muss, nachts den Arm des Nachbarn ins Gesicht zu bekommen.
Einzig die Anzahl der Duschen und Toiletten ist im Verhältnis zu den Betten sehr knapp bemessen, so dass immer mal Wartezeiten entstehen, was sehr unangenehm ist, wenn man schon die Oberschenkel aneinander pressen muss und die Augen etwas hervortreten.…. (Ich baue das Bild mal nicht weiter aus.)
Nach dem Quartier machen geht es dann in die Stadt, auf die ich mich schon freue. Die Strapazen auf den letzten Metern vor Lugo sind vergessen und selbst Jana kommt uns nach einer einstündigen Ruhephase und einem kleinen Nickerchen nach. Sie hat sich aber für Morgen vorgenommen, einen Ruhetag einzulegen und eine Etappe mit dem Bus zu fahren. Irgendwie muss auch durchgesickert sein, dass es wieder 30 Kilometer bis Ponte Ferreira werden. Und da macht irgendwas Klick in ihrem Gehirn, das sagt, dass sie das nicht schafft und dass dies nicht „ihre“ Entfernungen sind. Na egal, Hauptsache sie erholt sich gut.
Lugo ist die älteste Stadt Galiciens. Ihre Gründung geht auf die Römer in der Zeit des Kaisers Augustus zurück. Die Stadt liegt am Fluss Miño und hat etwa 98 000 Einwohner. Der alte Stadtkern ist ringsum vollständig von einer zwei Kilometer langen begehbaren römischen Mauer aus dem 3. Jahrhundert umgeben. Die Mauer ist zwischen acht und zwölf Meter dick und an der höchsten Stelle etwa zwölf Meter hoch. Alle 100 bis 200m gibt es eine mächtige halbkreisförmige Bastion, was die Mauer noch eindrucksvoller wirken lässt. Diese Stadtmauer, welche ursprünglich nur 5 Stadttore hatte (heute sind es verkehrsbedingt 10) gehört seit dem Jahr 2000 zum UNESCO Weltkulturerbe.
Wir also in die Stadt und bevor wir die Sehenswürdigkeiten betrachten auf der Suche nach einem geeigneten Freisitz, um ein Bierchen oder einen Kaffee zu trinken. Bei dem Überangebot ist das gar nicht so einfach, bis man sich geeinigt hat. Dann machen wir noch einige Streifzüge durch die Gassen und besuchen die Kathedrale, die bei stahlblauem Himmel mit ein paar Schäfchenwolken in der Sonne glänzt. Überhaupt sind die großen Gotteshäuser im Vergleich zu vielen Deutschen in einem beneidenswerten äußeren Zustand, soll heißen, sie sehen aus wie gerade eingeweiht. Ja und ein Stück auf der imposanten römischen Stadtmauer zu gehen, das gehört natürlich auch zum Programm eines Lugo – Besuchers.
Am Abend dann das gleiche Spielchen. Zusammen mit Jürgen und Philine suchen wir nach einem Restaurant, in dem man gut speisen kann. Jürgen hat da genaue Vorstellungen und fragt sich mit seinem guten Spanisch durch. Endlich haben wir das angepriesene Etablissement gefunden stehen nun jedoch vor verschlossenen Türen. Na wenigstens haben wir so noch einen weiteren Stadtteil kennen gelernt. Ohne weiteres Federlesen und vom Hunger getrieben steuere ich aber nun auf die Plaza de Mayor zu. Hier gibt es das größte Angebot, wenn sicher auch nicht das preiswerteste. Denkste, das Essen ist sein Geld durchaus wert. Wir haben aber auch keine Zeit mehr wählerisch zu sein. Bekanntlich schließen die staatlichen Herbergen 22 Uhr. Das ist zwar in ländlichen Gegenden nicht weiter störend aber in großen Städten mehr als hinderlich und meiner Meinung nach lebensfremd. In einem Land, in dem das Leben erst bei Dämmerung so richtig losgeht, wo man nachts noch Kleinkinder auf dem Platz spielen sieht, während die Eltern und Großeltern über die Plaza flanieren, will man doch nicht ins Bett! Was einem einzig übrig bleibt, um diese antiquierten Vorschriften zu umgehen, ist eine Privatunterkunft zu nehmen, was aber gerade in den großen Städten sich oft als schwierig erweist, weil das Angebot erschöpft ist oder weil die Preise natürlich höher sind.
Pünktlich stehen wir aber wieder vor der Herberge, verabschieden uns von Jürgen. Er zog es wieder vor, in einem Hotel einzuchecken, welches nach seinen Aussagen aber nicht an den Hygiene- und Ausstattungsstandard der Herberge in Lugo heran reicht. Wir verabreden uns zum Frühstück vor der Herberge. „Essen werde ich in dem Schuppen nichts“ sagt er in schönstem Schwäbisch und wir lachen, bevor wir in der Herberge verschwinden. Es wird sich schon eine offene Bar finden lassen morgen früh.
Bettfertig holt mich Jörg dann noch mal auf die Terrasse. Dort hat sich eine bunt gemischte Truppe versammelt und jeder hält einen Plastikbecher in der Hand. Einer der Spanier verteilt großzügig Kostproben aus einer Flasche mit Kaffeelikör. Torte gibt es auch. Es wurde noch ein lustiger Abend. Solche Abende sind ein Hauptgrund, weshalb ich Herbergen vorziehe. In einer Pension erlebt man sowas nicht.
Hier das Video zur Etappe (aus lizenzrechtlichen Gründen leider ohne Hintergrundmusik):