Kein Pilgerweg aber eine gute Vorbereitung auf unser Vorhaben, den Pilgerweg Mecklenburgische Seenplatte unter die Füße zu nehmen.
Schon zum dritten Mal nehmen wir an der
7 Seen Wanderung im
Leipziger Neuseenland teil. Anlässlich des Stadtfestes von
Markkleeberg, einer Kleinstadt im Süden von Leipzig, organisiert von den Sportfreunden Neuseenland e.V., dem Tourismusverband Neuseenland e.V. und der Stadtverwaltung Markkleeberg, findet jedes Jahr Anfang Mai dieses Event statt. Mehrere Tausend Wanderer begeben sich auf die Strecken, die als thematische Wanderungen mit Führung oder individuell als Wanderstrecken ohne Führung angeboten werden. Für jeden ist etwas dabei, von der 4 Kilometer “Maikäfertour” bis zur 104 Kilometer “Neuseenland XXL”. Viele fleißige Helfer sorgen dafür, dass sich niemand verläuft und dass niemand verdurstet oder verhungert. Die Feuerwehrdepots und Rettungsstellen werden zu Versorgungseinrichtungen umfunktioniert und überall auf den Wegen befinden sich Kennzeichen, die man nicht übersehen kann. Eine perfekte Organisation und interessante Strecken sorgen dafür. dass es jedes Jahr mehr Teilnehmer werden. Mehrere Tausend waren es auch in diesem Mai wieder. Und wir waren selbstverständlich dabei.
der aufgezeichnete Track auf OSM Karte
Nachdem uns das Gewimmel beim Massenstart von mehreren Tausend Wanderern im vorigen Jahr zur “Zwenkau Tour” nicht so gefiel (man kam auf den ersten Kilometern einfach nicht voran, weil die Wege sehr voll waren), entschieden wir uns wie auch schon vor zwei Jahren für die Midnighttour. Diese startete am 4. Mai um 01.00 Uhr in Gaschwitz am Jugendclub und führte 24 Kilometer über Böhlen, Gaulitz, Rötha, Espenhain, die Halde Trages bis nach Thierbach. Dort wartete auf uns ein bereitgestellter Bus, der uns zurück zum Ausgangspunkt brachte. Am Startpunkt erhielten wir unser Informationsmaterial, ein Reflex – Band zur besseren Erkennbarkeit in der Nacht und den üblichen Sticker. Die Anmeldung hatten wir bereits im Voraus online gebucht und den Unkostenbeitrag entrichtet. Und so lief das alles recht zügig ab. Auf die angebotenen Nudeln verzichteten wir dankend, denn um 8 Uhr fährt der letzte Bus.
Also stürzten wir uns in die stockfinstere Nacht. Beleuchtet mit einer Stirnlampe gingen wir entlang der Pleiße, die hier kanalisiert ist, bis nach
Böhlen, wo am Feuerwehrgerätehaus nette Helferinnen mit Kaffee, Tee, Streuselkuchen und Obst warteten. Unterwegs begegneten wir bereis Feuerwehrleuten, die mit Fackeln die dunklen Abschnitte der Wege beleuchteten und bereit standen, um zu helfen. Auch Rettungsfahrzeuge der Rettungsdienste waren mit Ersthelfern vor Ort. Und so war das fast auf der gesamten Strecke. Überall schlugen sich die Helfer die Nacht um die Ohren und konnten sicher nicht immer das Verständnis dafür aufbringen, weshalb da einige Verrückte ihnen die Nachtruhe rauben. In vielen Gesichtern stand aber auch geschrieben, dass sie diesen Job gern machen. Und so priesen hier die Feuerwehrfrauen von Böhlen ihren Kaffee und Kuchen wie Marktweiber an. Nach einer kurzen Rast und natürlich mit Kuchen im Bauch, gingen wir zügig weiter in Richtung Gaulitz.
wer solche Freunde hat….
Für mich war das alles etwas zu zügig. Das war nicht mein Tempo, denn ich lasse es lieber etwas ruhiger angehen am Anfang und werde erst am Ende, mit dem Ziel vor Augen (wir sagen mit Kneipe in Sicht) schneller. So lässt man sich aber leicht anstecken von der Eile, die hier einige an den Tag legten, als ob es ein Wettrennen wäre. Transparente sah man am Wegesrand, die zum Durchhalten aufforderten. Auf einem war sogar ein Wolfgang angefeuert worden: “Quäl dich du Sau!”, ein Zuruf den mal Jan Ullrich während einer Pyrenäen – Bergetappe von seinem Mannschaftskameraden über sich ergehen lassen musste. Rechts ließen wir die imposanten Kühltürme des Kraftwerkes Lippendorf liegen. Die Kühltürme dienten auf der gesamten Strecke als Orientierungspunkt. Und man ist immer wieder erstaunt, wir schnell man eigentlich doch zu Fuß voran kommt. Noch eben in weiter Ferne, standen sie nun fast neben uns und bliesen Wasserdampfwolken in den Nachthimmel. Wenig später erreichten wir am Ortsrand von Rötha den Röthaer Stausee, wo es etwas sumpfig wurde. Aber die Feuerwehr hatte auch hier ein Spalier von Fackeln aufgestellt und gaben Acht, dass niemand die Böschung hinab in den See fällt.
Futterkrippe von Anwohnern in Rötha
In Rötha gab es dann wieder eine Versorgungsstelle. Belegte Brote, Obst, Kaffee, Tee und Wasser wurden hier angeboten. Plötzlich polterte es. Ein recht junger Wanderer war ohnmächtig vom Stuhl gefallen. Doch zum Glück war auch hier sofort der Sanitäter des DRK zur Stelle und konnte dem jungen Mann helfen. Wahrscheinlich hatte er zu wenig getrunken und sich etwas viel zugemutet. Den Eindruck hatte man einige Male. Denn es war schon erstaunlich, mit welchem Tempo sich hier einige bewegten, die augenscheinlich noch wesentlich älter waren als ich. Ich denke aber: Ankommen ist wichtiger, als der Erste zu sein. Im Ort Rötha, der über seine Kleinstadtgrenzen hinaus bekannt ist für seine Silbermann – Orgel und den Most, der hier gekeltert wird, haben auch in diesem Jahr Anwohner eine Futterkrippe für die Wanderer aufgestellt. In einem beleuchteten Vogelhäuschen lagen Süßigkeiten bereit. Überhaupt nehmen die Anwohner großen Anteil an dem Event. Oft sieht man Schilder oder Spruchbänder und die Zäune sind beleuchtet und geschmückt. Der folgende Abschnitt ist nicht besonders erbaulich. Bis nach Espenhain geht es entlang der viel befahrenen B95. In früheren Zeiten wäre wahrscheinlich nie jemand nur auf die Idee gekommen, nach Espenhain, einem pechschwarzen, stinkenden Ort in Mitten von Braunkohlentagebauen zu wandern. Eine Großkokerei und eine Brikettfabrik machte einem hier das Atmen schwer. Was hier noch alles zusammen gebraut wurde, wissen nur Insider. Und was davon in die Umwelt geriet, war Staatsgeheimnis. Man trat aufs Gas, um schnell hier durch zu sein und machte die Lüftung am Auto zu. Vielleicht war auch deshalb die B95 schon zu DDR Zeiten vierspurig? Nach der Wende berichtete man ausführlich und manchmal auch ziemlich reißerisch von dem Umweltskandal, der hier angerichtet wurde. Vergiftete Luft und vergiftete Böden ließen hier und in den Nachbarorten die Menschen krank werden. Aber ich schweife ab…
Auch heute gibt es noch ein großes Gewerbegebiet auf dem ehemaligen Gelände der Kokerei. Und was man hier roch, ließ auch kein besonderes Vertrauen aufkommen. Während wir nach einer weiteren Rast am Sportplatz in Espenhain die Halde Trages empor stiegen, strömte uns ein intensiver Lösungsmittelgestank entgegen, der einem fast den Atem nahm. Aber der Weg auf die Halde hinauf zieht sich mächtig in die Länge, so dass man die Wolke bald hinter sich lassen konnte und durch einen Wald aus Pionier – Gehölzen (Pappeln, Akazien und Birken) schritt.
Die Halde ist keines natürlichen Ursprungs und besteht zu einem Großteil aus Abraum und Asche. Asche aus dem
Großkraftwerk Thierbach, welches am Rande des Dorfes mit einem riesigen Schlot und zweier riesiger Kühltürme Braunkohle aus der Umgebung verbrannte, um daraus elektrischen Strom zu machen. Anfang der 2000er Jahre wurde der Schlot und die Kühltürme gesprengt, nachdem es 1999 still gelegt worden war. Nur die Maschinenhalle blieb übrig und hat heute eine neue Funktion.
Kühltürme des Kraftwerks Lippendorf
All das konnte man schon sehen, denn es begann zu dämmern. Und die bisher dominierenden Nachtigallen wurden durch andere erwachte Singvögel überstimmt. Wenn es ruhig um einen herum ist, merkt man erst mal, was das für eine Wahnsinns Geräuschkulisse ist.
– Wenn es ruhig ist! Denn seit Espenhain war es ziemlich voll geworden auf dem Weg. Die “Sonnenaufgangstour” startet hier gegen 4 Uhr. Und so stieg in Espenhain vor unseren Augen eine große Gruppe aus dem Bus und zog auf dem gesamten Aufstieg zur Halde schnatternd vor uns her. Sie war zu schnell, um sie zu überholen zu können ohne sich zu verausgaben und zu langsam, um in Ruhe zurück zu bleiben. Zu sehr bummeln durften wir ja auch nicht. Denn der Sonnenaufgang auf dem
Aussichtsturm der Halde Trages ist ein besonderes Erlebnis, was wir nicht verpassen wollten. Der Gittermast mit seiner Stahltreppe und der Aussichtsplattform ragt seit 2002 33 Meter aus dem Wald und bietet einen fantastischen Ausblick auf das Gebiet südlich von Leipzig, auf das nach dem Braukohlenbergbau entstandene Leipziger Neuseenland. Nach dem Marsch fällt der Aufstieg auf den Turm schon etwas schwer. Man wird aber mit der Ausicht mehr als belohnt. Trotzdem blieben viele, die hier schon schnauften, unten stehen und redeten sich ein, das hier nicht mehr zu brauchen:
Sonnenaufgang auf der Halde Trages
Keuchend kamen wir noch rechtzeitig oben an und sahen einen herrlichen Sonnenaufgang. Das Wetter war in dieser Nacht eigentlich ideal zum wandern. Es war völlig windstill, trocken und etwas bewölkt, so dass die Temperaturen recht angenehm blieben. Am Morgen sah man vom Turm noch viele Nebelbänke zwischen den Orten und Wäldern liegen. Die Hochhäuser von Leipzig und das Völkerschlachtdenkmal lugten am Horizont aus dem Nebel. Alles sah etwas mystisch aus. Besser ging es nicht.
Trages in Sicht
Und so stießen wir hier oben mit einem Piccolöchen auf den Tag und die zurück gelegte Strecke an. Steil geht es nicht nur vom Turm herunter, auch der folgende Weg von der Halde verläuft über Treppen oder steile Rampen. Nun hat man das Ziel schon vor Augen. Nur noch durch das Dorf Thierbach und schon hatten wir auf dem dortigen Sportplatz unser heutiges Ziel erreicht.
Jaahh – das klingt alles recht einfach! Meine Füße sagten aber was ganz anderes. Dem Anfangstempo musste ich nun Tribut zollen. Mann, taten mir die Knochen weh. Und wie auch schon in den vergangenen Jahren kam das Gefühl auf, ob es so eine gute Idee ist, in den nächsten Wochen hunderte von Kilometern mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken zu laufen. Das war so 2011, als wir eine Woche vor den 800 Kilometern des Camino Frances die gleiche Tour gemacht hatten und das war auch so im vorigen Jahr, eine Woche vor der Via Regia. Als ich aus dem Bus stieg, der uns zurück zum Start brachte, muss das ausgesehen haben, wie nach ner Fahrt von “Polster und Pohl” (für die, die es nicht kennen, ein Busunternehmen spezialisiert auf Senioren). Doch einige Tage später überwiegt nun wieder die Vorfreude auf den neuen Weg, den wir ab Übermorgen gehen werden. Der Rucksack passt, der Muskelkater ist verflogen, die Füße sind wieder bereit und der Kopf hat wieder Lust zum Laufen.
Was soll uns nun noch aufhalten?
das Streckenprofil
die Statistik
Und hier noch einige Fotos:
Rast bei der Feuerwehr in Böhlen
Rast in Epenhain
Leipzig am Horizont
das DRK auf der Halde Trages
Abstieg von der Halde Trages
Thierbach erreicht
kurz vor dem Ziel
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