Heute geht es nach Inverarnan zur Beinglass Farm. Das ist ein Campingplatz, auf dem Gelände einer ehemaligen Farm. Dort gibt es Plätze für Zelte, kleine Holzhütten und Apartments in langgestreckten Holzhäusern. In letzteren sollen wir untergebracht werden. Bis dahin sind es aber noch über 26 Kilometer.
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Nach dem Frühstück bringe ich den Rucksack wieder zu der kleinen Holzhütte. Und da steht bereits ein Fahrzeug der Transportfirma, die mit dem Rucksack – Transport beauftragt ist. Der Fahrer fragt mich, ob ich nach Norden oder nach Süden will, als ich unseren Rucksack gleich ins Auto legen will, um ihm einen Weg zu ersparen. Und da wäre es fast passiert. Denn dieser Transport geht nach Süden. Also lege ich dann doch den Rucksack in die Hütte und drücke das Schloss wieder zu. Ich stehe nun noch eine ganze Weile draußen und warte auf den Rest der Truppe. Gegen 8 Uhr 30 geht es endlich los. Es nieselt immer noch etwas. Ich vertraue aber dem Wetterbericht und lasse den Poncho gleich im Rucksack. Wenig später zeigen sich erste blaue Wolkenlücken. Und schon beginnen wir uns zu entpellen. Das wird heute…
Kurz nach Rowardennan verzweigt sich der West Highland Way. Der untere Weg führt direkt am Ufer entlang auf einem schmalen Pfad über Stock und Stein. Am Abzweig entdecken wir ein Schild, auf dem steht, dass wegen Bauarbeiten der untere Weg gesperrt ist. Einige Teile des Weges waren abgebrochen und in den See gestürzt. Wir müssen also den oberen Weg nehmen, der auf einem breiten Fahrweg bis zu 100 Meter über dem See verläuft. Traurig bin ich darüber nicht. Denn man kommt auf alle Fälle besser voran auf diesem Weg. Und die Aussichten, die er auf den See bietet, sind auch nicht zu verachten. Einziges Minus: Wir kommen nicht an Rob Roys Gefängnis vorbei.
Hier soll er seine Geiseln versteckt haben. Wir befinden uns in seinem Gebiet. Rob Roy McGreggor, wie er vollständig hieß, gilt als Robin Hood des Nordens. Er war Chef des Clans der McGreggor´s und kam durch eine günstige Heirat und einige Missetaten zu einigem Reichtum. Erpressung und Raub standen damals auf der Tagesordnung und es galt in den Highlands nicht als verwerflich, wenn man das Vermögen der Reichen etwas um verteilte. Er selbst wurde dann ebenfalls durch einen Raub um sein Vermögen gebracht und sein Gläubiger der Duke of Montrose trieb ihn in den Bankrott. Hier beginnt nun sein eigentlicher Mythos. Denn er beginnt, ähnlich wie im Süden der Insel Robin Hood am Sheriff von Nottingham, Rache zu nehmen am Duke of Montrose, weil dieser sein Haus zerstörte und die Familie vertrieb. Mehrmals wurde er gefasst und ins Gefängnis gesteckt, nachdem er an Aufständen gegen den englischen König Georg dem I. auf Seiten der Jakobiter teilnahm. Er konnte aber immer wieder entfliehen. Später wurde er begnadigt und starb eines natürlichen Todes im Alter von 63 Jahren. Soweit der kleine Ausflug in die faszinierende Geschichte dieser Gegend.
Am Callness Burn, einem kleinen Bach endet der Queen Elizabeth Forest Park. Der kleine Fluss hat es in sich. Er hat die kleine Brücke schon mehrfach weg gespült. Ein Gedenkstein erinnert an einen Mann, der hier ums Leben gekommen ist, als er seinen Freund erfolgreich aus den Fluten gerettet hat. Er wurde fort gespült. Das kann man sich beim Anblick dieses zahmen Flüsschens kaum vorstellen. Zur Schneeschmelze sieht das sicher hier viel dramatischer aus. Überhaupt ist das heute der Tag des Wassers. Denn überall stürzen mehr oder weniger große Wasserfälle in die Tiefe. Oft muss man über Steine die Bäche überqueren. Über größere Gewässer gibt es Holzbrücken.
Kurz vor Inversnaid führt eine solche Holzbrücke über den Snald Burn, der hier in mehreren Kaskaden tosend in die Tiefe stürzt – was für ein Spektakel. Inversnaid besteht ebenfalls nur aus ein paar Häusern und einer Anlegestelle. Hier legen die Ausflugsboote von der anderen Seeseite mit vielen Tagesausflüglern an. Die andere Seeseite ist durch das Vorhandensein einer größeren Straße wesentlich touristischer. Die Straße von Rowardennan endet hier in Inversnaid. Weiter nördlich gibt es keine befahrbare Straße mehr am westlichen Seeufer und man trifft dann auch kaum noch Tagestouristen in ihren Sandalen. Ab hier ist der WHW- Wanderer unter seines gleichen. Wir jedoch nutzen erst mal die Segnungen der Zivilisation, nehmen an einem großen Tisch platz und trinken Kaffee. Den bekommt man mittels einer Kasse des Vertrauens für ganze 50 Pence im Hotel per Selbstbedienung. Hier haben wir etwa die Hälfte des Weges am heutigen Tag geschafft und wir genießen es, nach zwei Regentagen in der Sonne zu sitzen. Ja Sonne! Die Wolken sind nun fast verschwunden. Bisher war der Weg recht gut und wir sind zügig voran gekommen.
Das soll sich aber ab hier drastisch ändern. Ich dränge zum Aufbruch, da uns die Zeit etwas im Nacken sitzt. Wir werden eindringlich davor gewarnt, diesen vor uns liegenden Abschnitt auf die leichte Schulter zu nehmen. Dieser verläuft entlang der Steilküste in stetigem auf und ab zwischen Felsblöcken und Bäumen. Nicht weit nach Inversnaid geht es auch schon los damit. Man muss sich jeden Schritt überlegen zwischen den Felsblöcken und auf der linken Seite geht es oft steil bergab zum Seeufer. Ein Fehltritt und man liegt im günstigsten Fall drin im Loch Lomond. Im ungünstigen Fall schlägt man auf einen Felsvorsprung auf. Durch den dichten Bewuchs sind die Gefahrenstellen meist nicht gleich zu erkennen und man unterschätzt die Situation. Ohne Bäume würden wir hier sicher an einigen Stellen mit bangen Blicken nach unten sehen. Ich blicke mehrmals nach unten und entdecke tief unter uns andere Wanderer, von denen ich annehme, dass sie sich verstiegen haben. Doch denkste! Da müssen wir auch noch runter. Durch eine angelegte Steintreppe wurde diese, wie auch viele andere Stellen etwas entschärft. Das geht ganz schön auf die Knie hier. Und ich bin wieder mal froh, die Trekkingstöcke dabei zu haben. Einige Minuten später stehen wir auch da ganz unten, ohne nennenswert Strecke gemacht zu haben. Ich versuche den Wegverlauf da oben zu erspähen. Doch die Stelle, an der wir noch vor einiger Zeit nach unten blickend gestanden haben, ist nicht zu lokalisieren. Es ist ein Wirrwar aus Fels, Wasser und Pflanzen, in dem der Mensch ziemlich klein ist.
Besonders Andrea, die kleinste von uns, hat immer mal Probleme damit, den nächsten Felsvorsprung zu erklimmen oder von einem solchen hinab zu steigen. Dann entdecken wir ein kleines Holzschild, welches uns zu Rob Roys Cave, seinem Versteck schicken will.
Beides ist für mich unauffindbar und ich versuche den Rückweg einzuschlagen. Ich rufe nach Steffen, der nicht antwortet, worauf ich etwas in Panik gerate. Denn nun habe ich mich verstiegen und erkenne den Weg nicht mehr, auf dem ich hier hinunter gelangt war. Also alles wieder auf Anfang – ein neuer Versuch. Und diesmal gelingt es mir, einen Weg zu finden, der mit meinen Fähigkeiten begehbar ist. Endlich stehe ich wieder oben am Holzschild, wo auch Steffen angekommen ist. Er hat die Höhle wenigstens gefunden und konnte von Weitem hinein schauen.
Wir kämpfen um jeden Meter dieses Weges, der zum Glück an einer besonders steilen Stelle mit einer Treppe für unsereins begehbar gemacht wurde. Plötzlich kommt uns ein Mountainbiker voll bepackt entgegen. Und er sieht gar nicht glücklich aus. Wenn er wüsste, was ihn noch erwartet, würde er sicher noch verzweifelter schauen. Falls es seine Entscheidung war, diesen Weg mit dem Mountainbike zu bewältigen, habe ich Respekt vor seiner Zuversicht. Wenn es ihm jemand geraten hat, war das ein sehr schlechter Scherz. Es ist ja erstaunlich, was diese Biker mit ihren Rädern alles bewältigen können. Aber das hier? Noch dazu mit Gepäck? Viel Freude, sag ich da nur.
Wir gelangen nun in seichteres Gelände und aus dem Wald heraus. Es umgibt uns ein Meer von keinen blauen Blumen. Hier machen wir Rast und ich lege mich eine Weile ins Gras. Wir haben immer noch mindestens 10 Kilometer vor uns. Und es ist bereits nach 14 Uhr. Wenn das so weiter geht, werden wir noch einige Stunden benötigen bis zum Ende des Loch Lomond. Doch das schwierigste Stück haben wir bereits hinter uns. Durch wieder dichter werdenden Laubwald gelangen wir zum Fluss Allt Rostan.
Auf dem See befindet sich auf gleicher Höhe die Insel “Island I Vlow” mit der auf ihr stehenden Ruine. Diese Insel hat uns die ganze Zeit als Orientierungspunkt für das Vorankommen gedient. Und es ist erschreckend, wie langsam das heute geht. Auf dem See gibt es zunehmend Wassersport. Es ist Sonntag und lärmende Jetski und Motorboote sausen um die Insel. Auch der Straßenlärm von der gegenüber liegenden Seeseite wird im enger werdenden Tal immer lauter und stört etwas die Idylle.
Aber uns darüber zu ärgern, dafür haben wir gerade keine Zeit, da wir auf den Weg achten müssen..
Es ist dreiviertel Vier – Zeit für die Banane! Andrea zieht die Schuhe aus und watet durch das kalte Wasser des Loch Lomond. Das muss sein. Hier kommen wir wahrscheinlich nie wieder hin.
Aber einmal im Loch Lomond ein Bad nehmen, dafür reicht der Mut dann doch nicht.
Ein Gebäude der Farm wurde wieder aufgebaut und dient nun als Notunterkunft für Backpacker. Das Doune Bothy soll im Jahr 2000 umfassend überholt worden sein, wovon wir aber leider nicht mehr viel sehen, als wir den Raum hinter der immer offenen Tür betreten. Ein Tisch mit allerlei Müll und Papier, ein Kamin und eine erhöhte Plattform für Isomatten. Das ist alles, was es hier gibt. Gleich neben der Tür liegt ein großer Müllhaufen mit den verkohlten Resten der mitgebrachten Verpackungen von Lebensmitteln. Das ist alles ein unschöner Anblick und ich würde lieber im Freien schlafen, als in dieser Hütte.
Ab nun steigt der Weg stark an und führt über die noch bewirtschaftete Ardleish Farm zu einem Pass, von dem wir einen letzten Blick auf den Loch Lomond werfen. Von hier sollen es nur noch 2 Kilometer bis zur Beinglass Farm sein. Hier hat man wohl die Maßeinheit verwechselt. Denn uns kommt es eher wie 2 Meilen vor. Ich komme nun ins Laufen. Das ist oft so bei mir, wenn es auf das Ziel zu geht. Während ich am Morgen eine Weile benötige, um auf Betriebstemperatur zu kommen, bin ich oft erstaunt, wir leicht es mir fällt, nach über 20 Kilometern die Geschwindigkeit zu steigern. So hat jeder seinen Rhythmus. Und den kann man auf so einem Weitwanderweg nicht dauerhaft unterdrücken. So wundert sich Andrea auch nicht, wenn ich bald außer Sicht bin und nun allein auf ausgelegten Holzschwellen durch ein Hochmoor laufe. Zudem ist mein Wasser alle. Es ist seltsam. Sobald man das merkt, bekommt man Durst.
Der Weg führt erst langsam, dann immer steiler werdend ins Glen Falloch. Die Häuser von Inverarnan sind bereits zum Greifen nah. Aber der Weg streckt sich noch mal. Dann plötzlich sehe ich die kleinen Holzhütten der Beinglass Farm. Links von mir befindet sich eine gepflegte Wiese, auf der bereits Zelte aufgeschlagen wurden. Man oh man, es ist bereits kurz vor 18 Uhr. Ohne lange Pausen gemacht zu haben, sind wir heute fast 10 Stunden gelaufen und haben nur 26 Kilometer zurück gelegt. Der Rest der Truppe trifft nach einer halben Stunde ein. Da habe ich aber bereits die Formalitäten in der Bar erledigt und die Schlüssel für die beiden Apartments in den Holzhäusern in der Hand.
Mit den Beinen oben sitze ich bereits auf der Terrasse, als Andrea, Ines und Steffen eintreffen. Die Zimmer sind urgemütlich und sehr schön ausgestaltet. Ich habe immer noch Durst und gehe zur Bar, um ein Bier zu trinken. Während sich Andrea mit der Waschmaschine beschäftigt. 3,50 Pfund kostet eine Ladung Wäsche, zahlbar über einen Automaten. Ich schaue mal zu ihr und muss feststellen, dass die 1 Pfund Stücke zwar von der Größe her passen aber nicht in der Dicke. Da wir nicht so viel 50 Pence Stücke haben, geben wir das Unternehmen Waschmaschine auf. Warum wir nicht auf die Idee kamen, in der Bar das Geld zu wechseln, kann ich nachträglich nicht nachvollziehen.
Na jedenfalls waschen wir unsere Wäsche wieder mit der Hand und hängen die Sachen erst mal übers Geländer der Terrasse. Wir sind ziemlich kaputt und so fällt der Bar – Besuch nicht sonderlich lang aus. Wir essen was, trinken zwei Bier und sitzen noch eine Weile vor dem Haus, um den Rest unseres Whisky´s als Schlaftrunk zu vertilgen. Es ist halb Elf und immer noch ziemlich hell. Man merkt, dass man sich hier weiter im Norden befindet.
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