Gestern Abend hatten wir uns noch über den Sonnenschein gefreut und ich habe geschrieben, dass man hier mit schnellen Wetterwechseln rechnen muss. Wie recht ich doch hatte. Denn so ein Wetterwechsel hat sich nun in dieser Nacht radikal vollzogen. Eine steife Briese treibt dicke Regentropfen gegen die Fensterscheibe, durch die gestern noch ein schöner Sonnenuntergang zu sehen war. Die Hausherrin werkelt bereits in der Küche und fragt, was wir gern zum Frühstück wollen. Nach der gestrigen Erfahrung entscheide ich mich für die Zuzahlung und für schottisches Frühstück, also Eier mit Speck und Tomaten.
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Der Tisch sieht aus wie vor einer bedeutenden Familienfeier. Hier hält man es aus. Und ich spiele mit dem Gedanken, wie es wäre, hier länger zu bleiben, um das Golfen zu erlernen. Dieser Gedanke wird enorm verstärkt durch das Wetter, welches da draußen herrscht. Doch ich hege die Hoffnung, dass es im Laufe des Tages wieder besser wird. Gestern hat es sich ja auch gebessert. Gail serviert mir meinen Teller mit den Eiern und dem Speck. Na das lässt sich gut an. Ich frage Gail in der Annahme, dass wir was zuzahlen müssen zum üppigen Frühstück nach dem Preis. Die schaut etwas verwundert und meint, das wäre allen bereits bezahlt – toll!
Schnell sind unsere Sachen gepackt. Der große Rucksack steht abhol bereit in der Diele und wir sitzen wieder in Gails Mercedes. Sie fährt uns zurück an den Weg. Als Steffen die Fotos auf seinem Handy zeigt, auf denen er im Kilt bei den Highland Games zu sehen ist, sind alle Dämme gebrochen und die unangenehme Situation von gestern Abend ist völlig vergessen. Steffen ist Mitglied der “Vikings“, eines Zweiges unseres Heimatvereins in meinem Wohnort. Gail ist völlig überrascht, dass es bei uns so viele Anhänger dieses Ur – schottischen Sports gibt. Sie erzählt von den hiesigen Games und den Touristen aus Kanada, die hemmungslos mit tanzen, sobald schottische Musik erklingt. Das hätten wir gern erlebt. Aber leider finden derzeit nirgend wo in der Nähe des Weges solche Games statt. Wir unterliegen einem festen Programm. Denn die Unterkünfte für uns sind fest gebucht. Und so entlässt uns Gail mit den besten Wünschen in das Mistwetter.
Zuerst verrenken wir uns beim anziehen der Ponchos. Die Benutzung des Schirmes verbietet sich von selbst bei diesem Wind. Ich befürchte bereits, dass der noch stärker wird und wir den Conic Hill umgehen müssen. Der Conic Hill befindet sich zwischen uns und dem Loch Lomond. Er bietet den ersten größeren Aufstieg auf dem WHW. Der Aufstieg macht mir jedoch keine Sorgen. Eher befürchte ich, dass wir oben weg geblasen werden. Denn man hat 70 bis 80 km/h Sturm voraus gesagt. Bis jetzt hat der Wetterbericht übrigens ganz genau gestimmt. Schwierig wird sicher auch der sehr steile Abstieg hinunter nach Balhama am Südufer des Loch Lomond. Denn die Wege sind sehr glitschig und aufgeweicht. Zunächst gehen wir jedoch wieder durch ein dichtes Ginster Spalier. Ein größeres Wandstück, der Garadhban Forest schließt sich an, in dem wir etwas geschützt sind vor dem immer stärker werdenden Wind.
Das Gelände steigt ständig an. Am höchsten Punkt kann man etwa in drei Kilometer Entfernung den Loch Lomond gerade noch so erahnen im Regenschleier. Nee, so hat das keinen Sinn, sich über den Conic Hill zu quälen. Eigentlich hat man bei guter Sicht einen super Ausblick auf den Loch Lomond und seine Inseln von dort oben. Es ist ein erster Höhepunkt auf diesem Weg. Wir wollen jedoch auch Ines nicht gleich am zweiten Tag überfordern. Denn sie hat erst kürzlich eine Hüft- OP hinter sich gebracht. Dafür schlägt sie sich aber prächtig. Da jammere ich schon mehr herum. Denn mein Rücken macht Probleme und die Schmerzen ziehen auf der rechten Seite nach vorn. Vielleicht ist es aber auch das Fett, welches kneift. Denn davon trage ich einiges zu viel mit mir herum. Ich trage sozusagen zwei Rucksäcke.
Bald ist die Stelle erreicht, an der wir uns entscheiden müssen, ob wir die Umgehung oder den Weg über den Conic Hill nehmen. Die Entscheidung fällt bei einem Schluck Whisky aus dem Flachmann. Wir gehen drum herum entscheiden wir. Einer älteren Frau, die mich fragend anblickt, helfe ich mit den Worten “too windy” bei ihrer Entscheidung. Auch sie schlägt den als Umleitung gekennzeichneten Weg nach links ein. Nur ein paar Jugendliche mit riesigen Rucksäcken und eine junge Frau nehmen den rechten Weg zum Conic Hill.
Wir laufen auf einem breiten Weg über eine lange Allee bergab. Der Regen wird immer stärker, Bäche begleiten uns auf dem Weg und die Hosen sind bereits durch und durch nass. Oben schützt noch der Poncho recht zuverlässig. Der ist noch dicht. Das war ein guter Tipp, meint Steffen und ist ganz begeistert von seinem Umhang. Am Ende der Allee erreichen wir Buchannan Mill. Hier entdecke ich diese sehr schöne alte Wassermühle. Der Weg nach Balhama führt entlang an der Landstraße. Da es am Straßenrand viele mehr oder weniger große Pfützen gibt, müssen wir auf den regen Autoverkehr achten.
Eine schmutzige Dusche von der Straße hätte gerade noch gefehlt. Nach drei Kilometern ist Balhama erreicht und wir verschwinden in der ersten Bar, die offen ist. Eine große Auswahl hat man eh nicht. Balhama ist ein winziges Nest, welches vorwiegend von den Wanderern auf dem WHW und den Tagestouristen aus Glasgow lebt. Hier in der Bar ist es zwar rappel voll aber wunderbar warm. Ein Pärchen, das anscheinend schon länger hier sitzt, macht bereitwillig Platz für uns. Wir bedanken uns. Die Rucksäcke und die nassen Ponchos schmeißen wir in eine Ecke. Bei den drei Mädels am Tresen bestellen wir heißen Kaffee.
Eigentlich ist es das Wetter für Grog. Gerade als die Hosenbeine wieder trocken sind (Das ist der Vorteil von Funktionskleidung – die trocknet sehr schnell. Man müffelt aber auch schnell darin.), machen wir uns wieder auf den Weg. Gleich neben der Bar auf der linken Straßenseite finden wir den im Wanderführer angekündigten kleinen Laden, der sogar geöffnet ist. Diese Gelegenheit nutzen wir sofort, um unseren Proviant wieder aufzufüllen. Die Bananen sind alle. Und es wird zum Ritual, dass es jeden Tag dreiviertel Vier eine Banane gibt. Der Körper verlangt danach.
Am Ufer des Loch Lomond machen wir noch ein Foto neben einem Denkmal, das einen Fischer darstellt. Steffen steckt dem Mann aus Metall noch seinen Zigarillo zwischen die Zähne – passt irgendwie. Kurz nach dem alten Ableger von Balhama verlassen wir die Straße, die weiter nach Rowardennan führt und steigen einen sehr steilen Weg hinauf auf einen Hügel. Der wird von den Einwohnern Balhamas Craigie Fort genannt. Oben soll es einen wunderbaren Ausblick auf den gesamten südlichen Teil des Sees geben. Kann sein, heute jedenfalls nicht! Ein kleiner Steinhaufen erinnert an die Einweihung des West Highland Way, welche am 6. Oktober 1980 erfolgte. Der WHW ist damit der erste offizielle durchgehende Weitwanderweg Schottlands. Die Planung dazu wurden bereits in den 1960er Jahren begonnen.
Genau so steil wie nach oben, geht es nun auch wieder nach unten. Ohne Treckingstöcke ist es hier schwierig, heil runter zu steigen. Es liegen zwar flache Steine treppenartig angeordnet auf dem Weg, die jedoch sind sehr glatt. Der anschließende Weg orientiert sich am Ufer des Sees und wir haben immer wieder die Möglichkeit direkt zum Wasser zu gelangen. Viele kleine Bäche stürzen von rechts in Richtung See. Wir erreichen durch einen Eichenwald die Bucht von Milarrochy. Hier spielen einige Kinder am Strand Kricket. Ihnen macht das Wetter scheinbar gar nichts aus. Auf dem Campingplatz gibt es ebenfalls einen kleinen Laden. Verlassen würde ich mich aber nicht auf ihn.
Dann müssen wir auf die Straße ausweichen, da das Ufer felsig wird. An der Brücke über den Fluss Blair Burn erreichen wir den Queen Elizabeth Forest Park. Ob die Queen jemals hier war? Der Park ist ein riesiger Eichenwald durch den der WHW sich als schmaler Pfad hindurch schlängelt. Später muss der Weg sich das schmale Ufer auf zwei Kilometern mit der Straße teilen, bevor wir in den nächsten Wald eintauchen. Dieser Wald ist als “Forest for a Thousand Years” bekannt. Hier wird in einem Projekt der ursprüngliche Baumbestand Schottlands wieder angelegt. Schottland war einstmals von tiefen Wäldern bedeckt. Die sind zum Großteil dem Schiffbau der ehemals größten Seefahrernation zum Opfer gefallen. An vielen Stellen in Schottland kann man solche Projekte zur Wiederaufforstung sehen aber auch großflächige Einschläge von Nutzholz.
Im anschließenden Ross Wood, einem weiteren Waldgebiet, welches eine Halbinsel im Loch Lomond bedeckt, erwatet uns ein heftiger Anstieg auf einen 90 Meter hohen Hügel. Hier gibt es eine sehr steile Treppe, die uns alle ganz schön ins Schwitzen bringt. Alle, die hier oben ankommen pumpen ganz schön. Auf mehr oder weniger hügeligem Gelände folgt der Weg nun bis Rowardennan dem Seeufer durch einen mit Eichen, Buchen und Lärchen bestandenen Mischwald. Immer wieder rauscht ein Bach durch den Wald. Das Wasser ist zwar klar aber braun eingefärbt. Sieht irgendwie wie Whisky aus.
Rowardennan besteht eigentlich nur aus dem Hotel, einigen Ferienhäusern und einer Jugendherberge, die abseits weiter nördlich am Ufer steht. Wir haben unsere Unterkunft heute im Rowardennan Hotel, einem uralten Haus mit langer Tradition. Die meisten Zimmer besitzen einen “Loch View”, was bei uns etwas Erheiterung auslöst. Unsere Rucksäcke finden wir in einem Holzschuppen mit Zifferncodeschloss. Etwas leichtsinnig finden wir, dass der Code auf einem Zettel, für jeden sichtbar an der Rezeption hängt. Doch unsere Rucksäcke sind noch da. Wer will sich schon damit belasten wollen? Unser Abendessen nehmen wir auf dem Zimmer aus dem Rucksack. Es gibt Baguettes mit Käse, Plumpudding oder Salami, dazu ne Büchse Bier und einen kleinen Schluck Whisky aus dem Flachmann.
Später finden wir uns in der Hotelbar ein. Es gibt sogar noch Plätze an der Bar. Die anderen drei trinken Guinness und ich führe meine Experimente mit schottischem Bier fort. Ich bestelle ein Pint Stella Artois und bin ganz zufrieden mit meiner Wahl. Das kann man trinken, wenn es kalt ist. Nun muss ich jedoch erfahren, dass dies ein belgisches Bier ist. Der Barmann bemerkt, dass wir aus Deutschland kommen und will uns von seinem “echten” deutschen Bier kosten lassen. Ich glaube der will uns veräppeln. Denn dieses Bier schmeckt nach Popkorn. Wahrscheinlich wurde es nicht aus Gerste, sondern aus Mais gebraut. Aber mit deutschem Bier hat dieses hier absolut nichts zu tun. Das steht schon mal fest und das machen wir auch dem Barmann klar. Der ist sehr locker drauf und kommentiert das nicht weiter. Er bietet mir einen Platz an, von dem ich das Champions League Finale, welches heute in Berlin stattfindet, besser sehen kann auf dem großen Fernseher, der in der Bar hängt.
Bis zum Ende des Spieles schaffen wir es jedoch nicht mehr. Morgen wird ein langer Tag. Vor uns liegt die längste und schwerste Etappe unserer Reise. Diese Aussage aus dem Reiseführer kann ich zunächst gar nicht nachvollziehen, geht es doch genau wie heute immer am Ufer des Loch Lomond entlang. Das kann doch nicht so schwierig werden. Sicherheitshalber wollen wir aber früh zu Bett, um morgen ausgeruht wieder an den Start gehen zu können. Das Wetter soll sich morgen bessern. Das habe ich dem Wetterbericht im Fernsehen entnehmen können. Meine morgendliche Hoffnung auf besseres Wetter hat der heutige Abend leider nicht erfüllen können. Na viel schlechter als heute kann es eigentlich nicht mehr werden. Das stellen wir auf einem sehr kurzen Abendspaziergang zum Seeufer fest, während es wieder anfängt zu regnen. Wie miserabel das Wetter heute war, veranschaulicht auch, dass ich heute mehrmals gezwungen war, für die Filmaufnahmen die Action – Cam mit Unterwassergehäuse zu nutzen.
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