Also raus aus den Federn und frühstücken. Ja, man bietet hier ein sehr gutes Frühstück an. Als wir gehen wollen, kommt dann noch der Dekan des Bildungszentrums, um uns einen guten Weg zu wünschen und sich zu erkundigen, ob es uns in seinem Hause gefallen hat. Natürlich haben wir die jungen Leute nicht verpetzt.
Der Tag scheint wieder strahlend schön zu werden und so machen wir uns auf den Weg nach Eckartsberga. Dort wollen wir im Pfarrhaus übernachten und haben schon am Vortag die Pfarrerin Frau Plötner – Walter angerufen, um zu fragen, ob das möglich sei. Sie ist wahrscheinlich bis 19 Uhr unterwegs aber Herr Röder in Lissdorf, ein Ort vor Eckartsberga, hat auch einen Schlüssel, so antwortete sie. Das hatten wir im Pilgerführer auch schon gelesen. Also können wir uns ohne Sorge auf den Weg machen, da alles in sicheren Tüchern ist.
Gleich hinter Roßbach lauert ein schöner Anstieg auf den Göttersitz. Das ist ein Höhenzug zwischen Freyburg und Bad Kösen, der als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist. Das Ziel des Naturschutzgebietes ist die Erhaltung des Muschelkalkgebietes mit seinen charakteristischen Felsfluren, Trocken- und Halbtrockenrasen sowie naturnahen Laubwaldbeständen. Und durch diesen Laubwald laufen wir gerade eine schöne alte Katzenkopf – Pflasterstraße steil bergauf. Es ist sogar anzunehmen, dass wir hier auf einem Stück historischer Via Regia laufen. Im Verlauf der Via hat man versucht der historischen Wegführung möglichst nahe zu kommen. Natürlich ist das nicht überall möglich. Denn die bedeutsame Handelsstraße unserer Vorfahren wurde auch später genutzt und der jeweiligen Zeit angepasst, überbaut nennt man das. Nun macht es keinem Pilger viel Freude, stundenlang zwischen den Autos auf einer Bundesstraße wie der B87 zu laufen. Also haben die Organisatoren sich zum Ziel gesetzt, pilgergerechte Wege zu finden, die möglichst nahe am eigentlichen, historisch verbrieften Verlauf der Via liegen. Einige historische Abschnitte, die in Vergessenheit geraten waren, mussten aber auch wieder begehbar gemacht werden. Neben der Kennzeichnung des Weges und der Organisation von Unterkünften, muss das eine Wahnsinns Arbeit gewesen sein. An dem, was wir bis jetzt gesehen haben, können wir beurteilen, dass das sehr gut gelungen ist. Nun können wir bisher nur diesen Weg beurteilen, da wir in Deutschland noch nicht auf anderen Pilgerwegen unterwegs waren. Aber es wird immer wieder gesagt, dass der ökumenische Pilgerweg einer der am besten ausgebauten und organisierten Wege in Deutschland ist. Es gibt ein lückenloses Netz von Herbergen und Unterkünften und eine lückenlose Beschilderung. (bei allen bereits angesprochenen kleinen Unzulänglichkeiten). Deshalb wird es für mich hier an dieser Stelle im Blog Zeit, einmal Danke zu sagen, Danke den Verantwortlichen und den vielen kleinen Helferlein, die diesen Weg ins Leben zurück gerufen haben.
Wir sind also nun auf dem Göttersitz, sitzen auf einer Bank oberhalb eines eingezäunten Weinberges und schauen von oben auf Bad Kösen mit seiner Saline, auf die Saale und oberhalb des Flusses zur Burg Saaleck und zur Rudelsburg. Wir befinden uns im Burgenlandkreis und hier trifft man sie halt häufiger, die stolzen Bergfriede aus einer längst vergangenen Zeit, die umringt von dicken Mauern auf den höchsten Erhebungen der Gegend stehen, um eine bessere Übersicht über das Land zu haben. Wir haben hier auch eine schöne Übersicht. Ich als Ritter, ich hätte hier eine Burg gebaut. Ein schöner Ausblick, den wir eine Zeit lang genießen, bevor wir weiter gehen.
In Spielberg, dem nächsten Ort machen wir Pause und bemerken, dass wir ja eigentlich kaum noch was zu Essen haben. Und wie das so ist, bekommt man gerade dann so richtigen Hunger, wenn nichts mehr da ist. Ja, was nun? Nach einer Tienda wie in Spanien suchen, hat in Deutschland keinen Sinn. Fast alle kleinen Dorfläden, die es zu DDR Zeiten noch gab, sind der Marktwirtschaft und den großen Einkaufstempeln auf der grünen Wiese zum Opfer gefallen. Die alten Leute in den abgelegenen Dörfern, die nicht mehr mobil sind oder keinen mobilen Enkel in der Nähe haben, sind auf fahrende Händler angewiesen, die ab und zu ihre Runde mit ihren fahrenden Verkaufsständen über die Dörfer drehen.
Zwischen weiten Getreidefeldern (man kam sich manchmal schon vor wie in der Meseta) geht es nun viel zügiger voran in Richtung Lissdorf. Etwa eine Stunde vor Lissdorf rufe ich bei Herrn Röder an, wegen des Schlüssels für das Pfarrhaus in Eckartsberga. Seine Frau meint, das wäre kein Problem, rufen sie nochmals an, wenn sie in Lissdorf sind. Wir wandern dann später durch Lissdorf und hoffen auf einen kleinen Hinweis, wo wir Herrn Röder finden können, laufen jedoch ohne ein Schild zu erspähen bis zum Ortsausgang, wo eine Bank und eine Infotafel zum Ort steht. Hier rufe ich noch mal an und Herr Röder meint, dass er uns den Schlüssel nach Eckartsberga bringt. “Na ich kann ihn doch gleich mitnehmen. Da müssen sie nicht….” “Gut, bleiben sie wo sie sind, ich komme.” Wenig später knattert eine Art Gartenfräse mit Einachsanhänger auf uns zu.
Er war früher LPG Vorsitzender und hatte einigen Einfluss, den er bei den “Oberen” nutzte, um die Kirche zu erhalten. Baumaterial war eigentlich immer zu bekommen in der DDR. Man musste nur wissen wo, von wem, durch wen und wo für (oft für Westgeld oder im Tausch gegen andere begehrte Sachen). Er erzählt von den in vielen Briefen geschmuggelten Kupfernägeln aus der Schweiz für das Dach der Kirche. Die Zeit ist fast vergessen und fasziniert hören wir ihm zu. Fast vorsichtig fragt er dann, ob wir uns die Kirche denn mal ansehen wollen. Etwas überrascht hört er unsere Antwort: “Natürlich gerne!” Und so gehen wir zurück ins Dorf und er knattert mit seinem Gefährt vorn weg. Die Kirche macht schon von außen einen sehr gepflegten Eindruck. Nun ja, jede Kirche macht einen gepflegteren Eindruck als die in unserem Heimatdorf – leider. Auch innen ist alles pico bello. Zu unserer Freude stellt er dann auch noch das drei stimmige Geläut der Kirche an. Wenn man rechtzeitig anruft als Pilger oder er welche auf dem Weg sieht, erklingt das Geläut auch, wenn die Pilger in das Dorf eintreten. Das ist eine sehr rührende Geste und zeigt eine gewisse Wertschätzung der Menschen, die sich auf Pilgerschaft begeben. Mindestens 15 Minuten rauben wir so den Lissdorfern ihre Mittagsruhe.
Als wir dann später an der Stelle sind, bemerken wir, dass der Hinweis wichtig war, denn die Muschel könnte wirklich in zwei Richtungen zeigen. So aber betreten wir ohne Umwege schon gegen 14.30 Uhr die Stadt. Das Pfarrhaus ist dann auch recht schnell zu finden, ist es doch ganz sicher in der Nähe des weithin sichtbaren Kirchturms zu vermuten. Frau Plötner-Walter ist auch noch da. Und eine Frau aus dem Ort, die gerade dabei ist, die Feier einer goldenen Konfirmation vorzubereiten, werkelt noch in der Kirche.
“Es ist besser, wenn ihr hier hinten in meinem Büro euren Schlafplatz einrichtet. Vorn im Gemeinschaftsraum habe ich nachher noch Chorprobe.” Wir zerren also zwei von den recht betagten Matratzen unter dem Treppenabsatz hervor, schleppen diese ins Büro und machen unser Nachtlager fertig. “Alles was im Kühlschrank ist und daneben an Getränken steht, dürft ihr mit verbrauchen. Wenn ihr was nehmt, dann steckt bitte eine Spende in die Schachtel.” Uns verblüfft etwas dieses Vertrauen, dass man uns hier entgegen bringt. Das sollte aber nicht das letzte Mal sein, dass wir verblüfft werden auf diesem Weg. “Ich muss dann erst mal los. Vielleicht sieht man sich heute Abend noch einmal.” Und schon verschwindet die große hagere Frau, die mit ihren Kindern in der oberen Etage des Pfarrhauses wohnt. Nachdem wir die Kirche angeschaut haben, machen wir uns auf in den Ort.
Eckartsberga hat etwa 2400 Einwohner, ist also eine sehr keine Stadt, weswegen die Besichtigungstour recht kurz ausfallen kann. Wichtig für uns ist hier vor allem das Vorhandensein einer Einkaufsmöglichkeit, einer Gastwirtschaft (die sogar ein Pilgermenü anbietet) und einer Eisdiele, die wir sofort heimsuchen. Danach haben wir wieder genügend Kraft, den Burgberg zu erklimmen.
Die Eckartsburg, gelegen am Südwestlichen Rand des Finne – Höhenzuges ist das Wahrzeichen von Eckartsberga. Kein Wunder, hat die Stadt doch ihre Existenz dieser Burg zu verdanken. 966 hat Markgraf Ekkahart der Erste die Burg an der Via Regia erbaut und hatte so seinen Einfluss auf die wichtige Handelsstraße gefestigt. Die exponierte Lage auf dem Sachsenberg mit weiter Aussicht ins Thüringer Becken garantierten ihm gesicherte Einnahmen. Die Burg ist teilweise erhalten und man kann den 36 Meter hohen Bergfried besteigen, nachdem man in der auf dem Burghof befindlichen Gaststätte einen Obolus hinterlegt hat. Der mit 22 Metern Höhe etwas kleinere Bergfried diente in früheren Zeiten als Gefängnis und Folterkammer. Er ist eingerüstet und nicht begehbar. Der hohe Bergfried war früher Unterkunft und diente als Wachturm. Im dritten der 5 Geschosse ist ein Diorama über die Schlacht bei Jena und Auerstedt von 1806 aufgestellt. Wenn man ein 50 Ct. Stück in den Automaten wirft, wir das Licht eingeschaltet und es erscheinen Armeen von Zinnsoldaten, die im Schlachtgetümmel aufeinander zustürmen. Eine Stimme erklingt aus einem Lautsprecher und erklärt den Ablauf der Schlacht. Die zugehörigen Orte werden synchron mit kleinen Lämpchen illuminiert. Die Schlacht wird aber fast in Echtzeit dargestellt, dauert also sehr sehr lange und wir wollen endlich hinauf auf den Turm, um die Aussicht zu genießen. Doch erst als die Stimme verstummt, steigen wir weiter die knarrende Holztreppe hinauf. So viel Kulturhistorie muss sein für 50 Ct.
Oben angekommen erwartet uns wirklich eine fantastische Aussicht. Auch das Wetter spielt mit und wir können über das Thüringer Becken hinweg die Höhenzüge des Thüringer Waldes bereits sehen. Auch einen schönen Blick auf Eckartsberga hat man auf der gegenüberliegenden Seite des Turmes. Dann erblickt Andrea den Einkaufsmarkt am Stadtrand an der B87 in Richtung Apolda liegend. “Wollen wir nicht für heute Abend etwas frisches Gemüse holen?” – “Das sind mindestens 2 Kilometer bis da raus. Meinst Du nicht, dass ich heute schon genug gelaufen bin?” Aber Andrea ist da sehr (na sagen wir mal) beharrlich. Und so steigen wir auf der anderen Seite des Berges wieder hinab und ich trotte bis zum Penny hinterher. Auf dem Rückweg denke ich mir:”Und das für ne grüne Gurke!”
Wir sitzen noch nicht lange vor dem Pfarrhaus auf der Bank. Ich habe mir gerade ein Bier aufgemacht, da humpelt etwas durchs Tor des Pfarrgartens, jaaaa, ein Pilger!, vielmehr eine Pilgerin. Sie war heute in Freyburg gestartet, hat ihren Weg in Königsbrück begonnen, wohnt ursprünglich in Gera und ich habe ihren Namen vergessen. Das ist eine Schande, Orts- und Städtenamen kann ich mir über Jahre merken aber bei Menschen und den zugehörigen Gesichtern versage ich kläglich. Na egal jetzt ist es eh zu spät. Sie ist nicht mehr ganz so gut zu Fuß heute Abend und gerade heilfroh, hier angekommen zu sein. Wir informieren Sie über das Notwendigste zur Unterkunft und ich helfe ihr bei der Einrichtung ihres Nachtlagers. Sie bekommt den großen Gemeinschaftsraum für sich allein, da allem Anschein nach die Chorprobe entweder schon stattgefunden hat oder ausgefallen ist. Nachdem sie sich etwas erholt hat, gehen wir gemeinsam in die Stadt hinunter und setzen uns in die Gastwirtschaft, die mit dem Pilgermenü geworben hat. Und siehe da, an unserem Tisch sitzen plötzlich noch zwei Pilgerinnen, die aber nur auf einem Wochenendtrip sind und auf alle Fälle nie in “diesen” Herbergen übernachten würden. so ihre etwas abschätzig klingende Wertung. Na gut, mit dem Wort Pilgerinnen habe ich dann wohl etwas daneben gelegen. “Der Tourist verlangt, der Pilger dankt.” – An diesen bemerkenswerten Ausspruch denke ich bei solchen Gelegenheiten immer öfter. Das Pilgermenü hier wird übrigens deshalb zum Pilgermenü, in dem zu dem von der Karte bestellten Essen am Ende eine Banane dazu gereicht wird. Na ja, der gute Wille zählt. Es ist eine nette symbolische Geste. Und geschmeckt hat das preiswerte Essen zudem ausgezeichnet.
Unter diesen Eindrücken gehen wir spät in der Nacht schlafen und denken an die netten Menschen, die wir an diesem Tag wieder kennen gelernt haben.
Anmerkung von 2016:
Wir mussten inzwischen erfahren, dass Herr Röder aus Lissdorf im vorigen Jahr leider verstorben ist. Wir möchten seiner Familie unsere Anteilnahme ausdrücken. Sein Wirken im Ort und seine Aktivitäten für die Pilger sollen hier nochmals gewürdigt werden.