Die gestrigen dunklen Wolken sind davon gezogen und so starteten wir wieder in einen strahlend schönen Tag hinein. Nachdem unsere Sachen im Rucksack verstaut waren und die Matratzen wieder auf dem Speicher lagen, übergaben wir den Schlüssel und verließen das Borwinheim. Günstig fürs Frühstück war die unmittelbare Nähe des Supermarktes. Hier gibt es einen Bäcker und auch einen Metzger. Sehr eilig hatten wir es auch heute wieder nicht, denn es waren ja nur 17 Kilometer bis Zippelow. Mindestens eine Stunde unterhielten wir uns deshalb mit unseren Tischnachbarn, einem älteren Ehepaar, das uns ihre halbe Lebensgeschichte erzählte. Gegen 9 Uhr wurde es dann aber höchste Zeit los zu gehen, was sich am Ende des Tages dann auch bestätigen sollte, dass das gut so war.
Hier der Weg, wie wir ihn wirklich gelaufen sind. Der Link zum GPS Track der gesamten Westvariante, der zugehörige QR Code und ein Google Earth Überflug befinden sich unter dem Beitrag zur achten Etappe.
Der Weg heraus aus Neustrelitz geht durch die Glambecker Straße. Nach einer großen Kreuzung führte er uns weiter einige Kilometer an der B97 entlang. Unsere Befürchtungen auf einer langweilige Strecke an der stark befahrenen Bundesstraße entlang gehen zu müssen, wurden zum Glück nicht bestätigt. Zwischen der Fahrbahn und dem asphaltierten Radweg befindet sich ein breiter mit Bäumen und Büschen bestandener Grünstreifen, der den Weg zu Fuß erträglich macht. Entgegen meiner im Voraus geplanten Wegführung, verließen wir auch viel eher die B97 nach links auf den Königin Louise Weg. Von Hohenzieritz, dem nächsten Ort auf den wir nun zu liefen, bis hier her kann man sich eigentlich auf die Beschilderung des Königin Louise Weges verlassen.
Er entspricht zu 100% dem Verlauf des Pilgerweges. Ich habe auch deshalb auf die Dokumentation von fehlenden oder zerstörten Muschelzeichen verzichtet. Der sehr schöne Weg führt fast durchweg etwas hügelig durch einen dichten Laubwald. Hier und da gibt es einen kleinen See oder ein Rinnsal am Wegesrand. Kein Wunder, durchstreiften wir doch hier das Quellgebiet der Havel. Wir befanden uns in diesem Gebiet an einer Art Wasserscheide. Während fast alle Seen südlich von hier irgend wie auf natürlichem Weg oder durch einen Kanal mit der Havel verbunden waren, liegt der Tollensesee sozusagen hinter dem Berg. In ihm entspringt die Tollense, die später in die Peene mündet. Er hat also eine Verbindung zur Ostsee. Am Westufer des Tollensesees zieht sich eine Endmoränenlandschaft hin. Es gibt auf kurzer Strecke Höhenunterschiede von über 100 Metern. Und so geht es in Richtung Hohenzieritz nun auch fast ständig bergauf. Am Ortseingang beobachteten wir die Aktivitäten der örtlichen freiwilligen Feuerwehr. Während die “Alten” neben ihrem Auto standen und uns erstaunt hinterher schauten, schleppten die Jugendfeuerwehrleute die Schläuche durch die Gegend. Ja die haben wenigstens Nachwuchs, dachte ich. Bei uns zu Hause stirbt die Feuerwehr langsam aus. Eine über 100 jährige Tradition geht zu Ende, eigentlich schade. Aber ich bin mit meinen 55 Jahren mit Abstand der jüngste Feuerwehrmann in unserem Ort. Und so dürfen wir aus Altersgründen nicht mehr aktiv eingreifen wenn es brennt. Unsere Löschaktivitäten beschränken sich nun also nur noch ein mal im Monat auf den Durst, zur Freude der hiesigen Gastronomie.
Doch zurück zum Weg: Durst hatten wir nach dem Aufstieg in der stechenden Sonne auch. “Das gibt noch was heute” war mein Gedanke. Und ich hoffte, dass das erwartete Gewitter erst aufzieht, wenn wir Zippelow erreicht hatten. Die Gastronomie in Hohenzieritz bereitete sich offenbar in Ruhe auf das bevorstehende Pfingstfest vor, denn leider war alles geschlossen.
Und so blieb uns nichts weiter übrig, uns auf eine etwas wackelige Bank vor dem Eingang zum Schlosspark zu setzen und unsere mitgebrachten Reserven, ein paar Minisalami und zwei gummiartige Semmeln aufzuessen. Doch ich mahnte zum Aufbruch. Hohenzieritz machte auch nicht den Eindruck, uns aufhalten zu wollen. Das Schloss betrachteten wir deshalb nur von Fern. Eine intensive Besichtigung hätte zu lange gedauert. Bevor es weiter geht aber noch ein wichtiger Hinweis: Entgegen der Veröffentlichung auf der Internetseite, gibt es im Pfarrhaus von Hohenzieritz keine Unterkunft. Dem entsprechend war die Reaktion des hiesigen Pastors, als ich ihn vor unserer Reise kontaktierte. Ich suchte hier in der Gegend eine Unterkunft, da die zunächst geplante Herberge in Prillwitz (übrigens auch im Widerspruch zur Aussage auf der Seite) auch noch nicht zur Verfügung stand.
Wenn man Hohenzieritz verlässt, hat man eine schöne Aussicht zum Tollensesee und man sieht auch bereits den Ort Prillwitz, der am See Lieps liegt. Der Lieps ist durch eine Sumpfzohne mit dem Tollensesee verbunden. Die Verbindungsstraße nach Prillwitz führt recht steil bergab. Pilger auf dem Westzweig des Weges können also mit einem schweißtreibenden Aufstieg hinter Prillwitz rechnen und hoffen, dass es nicht so warm ist oder wenigstens das kleine Kaffee in Hohenzieritz geöffnet ist. In Prillwitz besuchten wir zuerst die sehr schöne Kapelle “zum guten Hirten”, die der neue Besitzer des Jagdschlosses gestiftet hat. Sie wurde 2011 aus über einhundert Jahre alten Klinkersteinen errichtet.
Die hiesige evangelische Kirche stammt aus dem Mittelalter und war ursprünglich eine Backstein – Kirche. 1730 wurde sie als Fachwerkbau mgestaltet und 1893 erhielt sie einen Turm im neugotischen Stil. Neben der sehr schönen Kanzel und dem geschnitzten Altar fällt hier die Patronatsloge mit den vielen Familienwappen ins Auge.
Neben der Kirche konnten wir bereits die Fortschritte beim Umbau des Pfarrhauses bemerken.
Hier soll ab dem Herbst Pilgern eine Unterkunft geboten werden. Wir wichen nun etwas vom Weg ab, um zur Bootsanlegestelle von Prillwitz zu gehen. Es besteht regelmäßiger Schiffsverkehr vom Lieps über den Tollensesee bis nach Neubrandenburg. Rechts am Weg dort hin schaut man in einen sehr schön gestalteten Landschaftspark, an dessen östlichem Ende das schon erwähnte Jagdschloss liegt. Das Jagdschloss hat eine bewegte Geschichte. Neben dem noch existierenden Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, 1890 vom Großherzog Friedrich Wilhelm des II. von Mecklenburg – Strelitz für seinen Sohn gebaut, wurde es nach 1945 geplündert und als Unterkunft für Flüchtlinge benutzt. 1955 übernahm das Energiekombinat Neubrandenburg das Haus als Ferienobjekt. Trotz einiger dem Zeitgeist angepasster Umbaumaßnahmen wurde so das Schloss wenigstens vor dem Verfall gerettet. Seit 1995 ist das Schloss ein Hotel mit Restaurant und seit 2006 befindet sich das Haus in Privatbesitz und wurde stilvoll restauriert. Die Umbaumaßnahmen dauern immer noch an. Die Parkanlagen blieben mit einigen Auflagen für die Bevölkerung zur Nutzung geöffnet. Und so sahen wir einige Leute durch den Park flanieren und viele Kinder im Park spielen.
Am Schiffsanleger trafen wir auf einige fröhliche Ausflügler, die mit dem Fahrrad unterwegs waren und hier mit ein paar Flaschen Bier, Kaffee und einem Imbiss Rast machten. Sofort wurden wir beim grüßen als Sachsen entlarvt. Etwas Smalltalk und wir gingen weiter zum Steg. Neben diesem befindet sich ein Badestrand und zwei recht beleibte Frauen hatten sich sogar in die kalten Fluten des Lieps gewagt. Von einer Insel im See drang das Geschrei hunderter Vögel herüber. Hunderte Kormorane hatten hier bereits die Herrschaft übernommen. Ihr Kot hatte die Bäume fast völlig entlaubt.
Im Gegensatz zum nahen Tollensesee ist hier jeglicher privater Bootsverkehr verboten. Selbst das Angeln ist untersagt. Nur die Fahrgastschiffe dürfen verkehren. Von einem solchen war aber weit und breit nichts zu sehen. Macht auch nichts, wir wollten ja sowieso die restliche Strecke bis Neubrandenburg erst morgen zu Fuß zurück legen. Auf dem gleichen Weg gingen wir nun zurück zum Ortszentrum von Prillwitz, um dieses in Richtung Zippelow, unserem heutigen Ziel zu verlassen. Die schmale Asphaltstraße wird von uralten Kopfweiden gesäumt und auf den Weiden standen Kühe einer beeindruckend massigen Rasse.
Nach nur kurzer Zeit erreichten wir die ersten Häuser von Zippelow. Ein heftiger Anstieg und schon war der Ort zu Ende, so glaubten wir zunächst. Doch auf der rechten Seite leuchtete an einem Briefkasten ein blau-gelbes Herbergsschild, dahinter die Nummer 6a (Straßennamen hat der winzige Ort nicht), ein mit viel Fleiß und Kreativität ausgebauter ehemaliger Stall. Drei junge Familien haben sich hier zusammen getan und ein kleines Wunder vollbracht. Ja und zwei davon öffnen ihr Haus auch für Pilger. Am Pfingstwochenende hatten wir einige Probleme, noch freie Unterkünfte zu finden. Und so war auch die Unterkunft bei Frau Falk eigentlich bereits belegt als ich telefonisch danach fragte. Macht nichts, denn ich hatte ja deshalb mein Zelt den gesamten Weg im Rucksack mit geschleppt. Fast ein wenig enttäuscht musste ich aber nun hören, dass die angekündigte Verwandschaft nun doch nicht gekommen ist und wir in die Unterkunft ins Hau könnten. Nur weil sich der Himmel bedrohlich verdunkelte und bald danach heftiger Regen einsetzte, gab ich nach und ließ das Zelt in der Hülle. Andrea stand die Erleichterung im Gesicht geschrieben. Zwei Etagen geht es nach oben in ein sehr schön ausgestattetes Zimmer unter dem Dach des alten Hauses. Selbst gemachter Apfelsaft stand zur Begrüßung auf dem Tisch.
Eine bequeme Doppelliege wartete auf unsere Schlafsäcke. Na gut, das war alles sicher viel bequemer als im Zelt zu schlafen. Geärgert hat mich nur, dass Andrea nun recht hatte, da sie bereits vorher meinte, dass wir das Zelt eh nicht brauchen würden. Doch ich erinnerte mich wieder an die schöne Aussage von Krümel, unserem Freund in Neubrandenburg, der auch ein Zelt auf seinem Pilgerweg durch Spanien mit hatte: “Ich habe das Zelt zwar nie benutzt, es aber für den Kopf gebraucht.” Und genau so geht es mir auch. Ich fühle mich entspannter, wenn ich weiß, wo und wie ich mein Haupt am Abend nieder lege. Vielleicht überwinde ich das mal. Aber derzeit muss ich mich damit abfinden und die Konsequenzen schleppen. So schön die Unterkunft war, hatten wir jedoch noch ein Problem – das Essen. Wir hatten vergeblich auf dem heutigen Weg nach Einkaufsmöglichkeiten gesucht und so könnte das heute ein magerer Abend werden. Frau Falk lud uns aber ein und wir aßen in ihrer urigen Küche eine Art Spinat – Kuchen (Es gibt sicher einen anderen Namen dafür, ich kenne mich da nicht so gut aus.), der sehr gut schmeckte. Uns war die Sache ja etwas peinlich. Wir wollten aber die Gastfreundschaft nicht ausschlagen, die uns die netten Leute hier anboten. Die nächste Einkaufsmöglichkeit gab es in Penzlin, das etwa 7 Kilometer entfernt ist von Zippelow. Zu Fuß ist das für den späten Nachmittag viel zu weit. Also lieh ich mir ein Fahrrad aus, um nach dem Gewitterregen dort hin zu fahren und noch etwas einzukaufen. Hui und wie das auf und ab ging! Ja und dann noch der ungewohnte Drahtesel – es dauerte etwas, bis wir uns aneinander gewöhnt hatten. Doch eines wurde schnell deutlich, ohne Gangschaltung hätte ich an einigen Stellen schieben müssen. Diese Endmoränenlandschaft hat es in sich mit ihren kurzen knackigen Steigungen. Und ich bin gar kein guter Bergauffahrer, was sicher mit meinem Übergewicht zusammen hängt. In der Ferne sah ich die Türme der massigen Penzliner Kirche. Doch der Ort wollte einfach nicht näher kommen. Bei jeder Bergabfahrt dachte ich bereits an die Rückfahrt. Besonders in den Ort hinein ging es lange bergab. Zudem lag die einzig noch offene Kaufhalle am anderen Ende Penzlins.
Kurz vor Ladenschluss stand ich mit meinem Korb an der Kasse, mit ein paar Semmeln, einem Stück Käse, etwas Hartwurst, zwei Flaschen Bier (die hatte ich mir nach dieser Fahrt redlich verdient!) und einer Flasche Rotwein. Zusammen mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken fuhren wir nun noch mehr schnaufend die Berge hoch, sausten aber um so schneller von ihnen hinab. Etwas neidisch schaute ich einem Rennradler hinterher, der mich an einer Steigung förmlich stehen ließ. “Wenn ich hier mein Rennrad hätte! Na dann!!” wollte ich ihm am liebsten nachrufen. So war ich aber froh, dass das Damenrad wenigstens einen Klettergang hatte. Nach etwa einer Stunde war ich wieder in Zippelow und ich blieb fast trocken. Kurz nach meinem Eintreffen begann es wieder heftiger zu regnen. Wir zogen uns deshalb unter ein Carport zurück, leerten unsere Flasche Rotwein und schauten auf das schöne Haus, das uns hier als Herberge diente.