Die Nacht verlief so, wie man es vermuten durfte auf dieser Ottomane. Mitten in der Nacht war sie sogar mit lautem Getöse zusammengebrochen, nach dem ich von der Toilette wieder kam und mich wieder hinlegen wollte. Die Füße hingen in der Luft und mein aufblasbares Kissen flutschte auch laufend unterm Kopf hervor. Nee, eine ruhige erholsame Nacht war was anderes. Etwas zerknautscht war ich froh, endlich aufstehen zu können. Nach dem ersten Blick aus dem Fenster erhellte sich aber schlagartig meine Stimmung. Die Wolken hatten sich über Nacht verzogen und es war ein klarer kühler Morgen. So kühl, dass die Fensterscheiben anliefen. Kurz was essen und einen Kaffee, die mittlerweile gummiartigen Semmeln aus Carpin hatte ich auf dem Toster wieder knusprig bekommen. Draußen vor der Türe verabschiedeten wir uns von Anne und unsere zwei Fotoapparate wurden getauscht, um von jedem ein Foto zu haben. Wir verließen daraufhin Wokuhl in entgegen gesetzter Richtung. Vielleicht sieht man sich noch einmal?
Hier der Weg, wie wir ihn wirklich gelaufen sind. Der Link zum GPS Track der gesamten Ostvariante befindet sich unter dem Beitrag zur ersten Etappe.
Auf der kaum befahrenen Landstraße gingen wir in Richtung Comthurey, bzw. einer kleinen Siedlung außerhalb des eigentlichen Ortes. Gleich man Ende der Siedlung sah ich einen Weg , der in Richtung Ortsmitte führte und mir als der richtige Weg erschien. Nur, es stand hier kein Wegweiser. Möglich, dass wir hätten auf der Straße weiter laufen müssen und so auch in den Ort gekommen wären. Wir nutzten aber den kleinen Weg, der über lange Treppenabsätze zunächst bergab und dann über eine Wiese zum Ortszentrum führte. Hier trafen wir wieder auf die Straße. Ein Blick auf die Karte zeigte, dass wir eine kleine Abkürzung gelaufen waren. Ob das der richtige war, wissen wir bis heute nicht.
Dass wir aber ab hier auf alle Fälle wieder richtig waren, zeigte uns ein kleines grünes Schild mit der Aufschrift “Schmetterlingsweg Dabelow” und das Muschelzeichen. Die Wegbeschreibung versprach uns einen der schönsten Abschnitte des Pilgerweges und dass er hier dem Namen “Mecklenburgische Seenplatte” alle Ehre machen würde.
Und so war es dann auch. Ein schmaler feuchter Pfad führte zunächst durch einen sumpfigen Wald, um danach lange dem Ufer des Dabelowsees zu folgen. Einziger Wermutstropfen, der den Eindruck etwas trübte, war ein langer hässlicher Zaun, der eine Baumschule umschloss und an dem man entlang gehen muss. Angespitzte Baumstümpfe verrieten uns, dass hier Biber heimisch sind. Das war mir neu, dass Biber nicht nur an fließenden Gewässern ihre Burgen bauen und jede Menge Bäume abholzen, sondern auch an solch einem großen See. Doch eine Hinweistafel bestätigte dies auch offiziell.
Eine kleine Rast legten wir an einer Badestelle ein, an der wir, nachdem wir eine Böschung hinunter gestiegen waren, eine Bank vorfanden und eine etwas provisorisch wirkendes Rohr-Geländer, welches schnurstracks ins Wasser führte. “Baden auf eigene Gefahr! Der Bürgermeister” stand auf einem Schild. An Baden war aber gar nicht zu denken bei diesen Temperaturen. So saßen wir da und beobachteten allerlei Wasservögel und kleine Fische, die sich in Ufer-Nähe aufhielten. In der Ferne sahen wir sogar einen Seeadler, der sich auf die Wasserfläche stürzte und irgend etwas davon zu tragen schien.
Wieder auf dem Weg bemerkte ich in etwa 100 Meter Entfernung einen Rehbock einsam äsen. Noch hatte er uns nicht bemerkt und so konnte ich einige Fotos und Videoaufnahmen machen. Erst als wir etwas Lärm machten und uns wieder bewegten, ergriff er die Flucht. Auf dem aufgeweichten Boden konnte man die Tiefe und die großen Anstände der Abdrücke des Paarhufers bemerken, die ein Anzeichen für Flucht sind. Na hoffentlich haben wir ihn nicht zu sehr erschreckt. Kurz vor Dabelow verloren sich die Spuren. Am Ortseingang überquert man eine Brücke und sieht schon die sehr interessante Dorfkirche. Sie wurde 1855 als Fachwerkbau errichtet.
Der obere Teil ist völlig aus Holz. Auch im Innenraum ist vorwiegend Holz verbaut. Außen fällt der reiche Formenschmuck auf. Das Fachwerk ist kunstvoll mit Backsteinen versetzt und auch die hölzernen Aufbauten sind kunstvoll verziert. Diese Kirche ist wohl in dieser Gegend einzigartig. Man sah der Kirche an, dass sie unlängst vollständig renoviert worden war. Und diese Renovierung ist ihr sehr gut bekommen, so mein Eindruck. Sie soll nun wieder so aussehen, wie es der Erbauer Landesbaumeister Friedlich Wilhelm Buttel einst erdacht und geplant hatte. Buttel war ein Schüler Schinkels und hatte auch die schöne Schlosskirche in Neustrelitz gebaut.
Schon seit Dabelow gingen wir über Asphaltstraßen. Und nun folgte ein langer, langweiliger Abschnitt des Asphaltstreifens durch einen Wald. Bis kurz vor Fürstenberg zog sich dieser Weg hin. Zweifelhafte Abwechslung boten nur die im Tiefflug über unsere Köpfe donnernden Jagdflugzeuge. Ob das wirklich über einem Nationalpark sein muss? An vielen Stellen sahen wir deshalb auch Protestschilder mit einem durchgestrichenen Jagdflugzeug. 1,2 Kilometer vor Fürstenberg mündet die kleine wenig befahrene Asphaltstraße auf die sehr belebte Landstraße nach Lychen. Bei jedem entgegen kommenden Fahrzeug mussten wir auf den Randstreifen flüchten, was wir auch allen nachfolgenden Pilgern raten möchten. Kurz nach dem Ortseingangsschild weist ein Wegweiser nach links. “Ravensbrück” – dieser Ortsname macht betroffen und zeugt von der dunkelsten Phase der Deutschen Geschichte. Hier befand sich seit 1939 das durch die SS errichtete größte Frauenkonzentrationslager Nazi – Deutschlands. Über 150 Tausend Frauen, Kinder und Männer aus 40 Nationen wurden hier gefangen gehalten und gepeinigt. Zehntausende starben, verhungerten oder wurden hier bis 1945 ermordet. Heute gibt es hier eine eindrucksvolle aber bedrückende Gedenkstätte, erinnert an das Geschehene und hält das Gedenken an die Opfer aufrecht.
Wir hinterließen eine Nachricht und machten uns mit samt unseren Rucksäcken noch einmal auf, um uns die Stadt anzusehen. Zunächst betraten wir die offene Stadtkirche. Dieser im romantisch – neogotischen Stil errichtete gelbe Backsteinbau ist ebenfalls wie die heute schon gesehene Kirche in Dabelow ein Werk von Friedrich Wilhelm Buttel. Der Innenraum, den wir nun betraten, wirkt sehr groß und weiträumig. Das dunkle Holz des Gestühls und der Emporen bilden einen interessanten Kontrast zu weißen Putz.
Der Raum wirkt hell und freundlich. Der Batik – Teppich hinter dem Altar stellt die Auferstehung Christi dar,stammt aus dem Jahre 1963 und ist der größte seiner Art in Europa. Aus städtebaulichen Gründen steht die Kirche “verkehrt herum”. Das heißt, der Altar steht im Westen, wogegen die repräsentativeere Fassade mit dem schlanken Turm im Osten steht. Die Stadtväter wollten es so, um dem Markt mehr Wirkung zu verleihen. Dieses Denken der derzeitigen Stadtväter hätte ich mir auch gewünscht, bei der Entscheidung, gegenüber der schönen Kirche den Bau eines tristen und einfallslosen Einkaufszentrums zu genehmigen. Schön ist was anderes und es verdirbt etwas den Gesamteindruck des Platzes.
Über diesen liefen wir nun in Richtung Baalensee, wo sich die Anlegestelle des Ausflugsschiffes befindet. Die Sonne hatte sich längst wieder verzogen und eine steife Briese blies über den See. Hier am Wasser wurde es uns dann doch zu ungemütlich und wir gingen zurück in die Stadt, nachdem wir uns noch eine interessante hölzerne Fußgängerbrücke über die Havel angesehen hatten. Die Havel und die drei umliegenden Seen bestimmen den Charakter der Stadt, die früher Luftkurort war, heute jedoch unter der Verkehrsbelastung der durch die Innenstadt verlaufenden Bundesstraße 96 leidet. Nicht umsonst sieht man im Stadtbild einige Transparente, die fordern, dass die Fernverkehrsstraße um den Ort herum verlegt wird. Die quasi Insellage der Stadt in mitten der drei großen Seen dürfte diese Forderung aber wohl in den Bereich der Utopie verlagern.
Diese ist im Dachgeschoss des Pfarrhauses untergebracht und wird wie in Rödlin für die Christenlehre genutzt. Küche, Dusche, WC und ein großer Raum, in dem man die vorhandenen Luftbetten aufblasen und ausbreiten konnte, sind für einen Pilger vollkomfort. Ich nahm also die zum Glück bereit liegende Luftpumpe und füllte zwei der Luftbetten. Meine Lungen wären wohl leicht überfordert gewesen damit.
Heute gönnten wir uns mal ein richtiges Abendessen. Wie schon geschrieben, man muss die Gelegenheiten nutzen. Und die bestand hier aus einem Italiener. Und ich liebe Nudeln. Der Italiener sprach zwar mit Berliner Dialekt, wir befanden uns nun in Brandenburg, aber die Spagetti waren super. Noch eine kleine Runde vorbei am Hafen, an der Havelschleuse, der obligatorische Einkauf des Proviants für den Folgetag und schon war auch dieser Tag Geschichte. Vor der Stadtkirche trafen wir dann noch den Pastor, der einen Werbe – Aufsteller einräumte. Dieser gab uns in seinem Büro dann auch unseren heutigen Stempel und wir übergaben unsere Spende für die Unterkunft. Den Tag ließen wir wieder bei einer Flasche Rotwein (dieses mal Rioja) ausklingen. Morgen wartete die längste Etappe auf unserer Tour. Fast 35 Kilometer werden es sein bis nach Diemitz. Hier im südlichen Teil des Pilgerweges gibt es nur wenige Herbergen. Zudem soll die Beschilderung lückenhaft sein.
Na wir sind gespannt.