Schon vor dem Wecken war ich wieder wach und der Blick aus dem Fenster verriet, dass es wieder ein schöner Tag werden würde. Es war erstaunlich, dass trotz der nicht so berühmten Wetteraussichten, wir bisher offensichtlich in einer “Schönwetterblase” unterwegs waren. Nur am ersten Tag hatten wir bisher etwas Regen, der uns aber kaum störte, da er nicht heftig und nur kurz war. Seither war es zwar recht kalt aber trocken und sonnig. Das ist ideales Wanderwetter. Und der Himmel zeigte ein Wolkenbild, dass jeden Fotografen erfreut. Aber ich wiederhole mich. Ich wünschte mir, so sollte es auch heute wieder werden. Der Blick aus dem Fenster war jedenfalls vielversprechend. Mit solchen Aussichten fällt das Aufstehen gleich doppelt so leicht. Also machte ich schon mal Wasser für den Kaffee heiß und legte unser mitgebrachtes Frühstück bereit – wieder mal Brot, Käse und etwas Marmelade. Schnell ist alles gepackt und schon vor Acht Uhr hatten wir unsere Rucksäcke wieder auf dem Rücken. Von unserer fröhlichen und netten Gastgeberin hatten wir uns schon am Abend verabschiedet und so verließen wir gut gelaunt, vorbei an der “Strickbirke” das Grundstück.
Hier der Weg, wie wir ihn wirklich gelaufen sind. Der Link zum GPS Track der gesamten Ostvariante befindet sich unter dem Beitrag zur ersten Etappe.
Heraus aus Rödlin gingen wir eine ganze Zeit an der Straße entlang. Nachdem man in den Wald kommt, weist ein Wegzeichen nach links. Auch hier folgt man einer Asphaltstraße, bis man Rödlin Ausbau erreicht. Ein Hund quittierte mit lautem Gebell unsere Ankunft. Doch schnell hatte er sich wieder beruhigt, als er merkte, dass wir weiter zogen, ohne an seinem Gartentor zu rütteln. In mitten des Rödliner Ortsteiles, der nur aus ein paar Gehöften besteht, mussten wir dann halb rechts abbiegen. Die Beschilderung war bisher recht gut, so dass wir uns sicher waren, auf dem richtigen Weg zu sein.
Vor einem Bahnübergang über die gleiche eingleisige Strecke hat man die Wahl zwischen zwei Wegen, geradeaus oder nach rechts. Und richtig stand hier auch ein Wegweiser. Leider war dieser zerbrochen, die abgebrochenen Teile steckten aber noch hinter dem restlichen Schild. Und so hatten wir die Möglichkeit, das Schild wieder zusammen zu setzen. Und so erfuhren wir, dass wir weiter geradeaus mussten, um nach Carpin zu gelangen, denn ein kleiner Zusatzpfeil auf dem Schild zeigte in diese Richtung. Zuvor jedoch machten wir einen Abstecher an den Schlesersee.
Hier befindet sich ein keiner Steg und eine Badestelle. Zum Baden war es viel zu kalt, ich nutze jedoch den Steg für einige Fotos vom idyllischen See. Zurück auf dem Weg gelangt man bald auf eine Asphaltstraße, der man nach rechts folgt, um zum Ortseingang von Carpin zu gelangen. Laut Beschreibung soll hier ein Abzweig (erneut über die Bahnstrecke) nach rechts sein. Entweder wir haben den Abzweig übersehen oder es war wirklich kein Wegweiser da. Also gingen wir vorbei am alten Bahnhof von Carpin bis zu einer Hauptstraße, wo gleich links eine hölzerne Sitzgruppe uns zu einer Pause einlud. Nach etwas Trockenobst und Müsliriegeln setzen wir unseren Weg fort. Nach meinen Aufzeichnungen mussten wir uns nun rechts halten. Ein Wegweiser stand hier nicht.
Von weitem sahen wir einen großen Reisebus und einige Touristen mitten im Ort stehen. Als wir näher kamen, bemerkten wir, dass es hier ein Restaurant gibt und ein Landhotel. Die Reisenden hatten offenbar hier übernachtet und nun vor der Abfahrt gefrühstückt. Hmm, vielleicht fällt auch für uns was ab. Und richtig befand sich um die Ecke auch eine Bäckerei, die sogar heute am Sonntag geöffnet hatte. Diese Gelegenheit ließen wir uns natürlich nicht entgehen und füllten unseren Proviant auf. Das es heute noch irgend wo etwas zu essen gibt, war eher unwahrscheinlich. Und das hatten wir schon auf der Via Regia gelernt: Jede Chance nutzen, auch wenn dadurch der Rucksack noch schwerer würde.
Weiter durch den Ort fiel uns ein winziges keines hellblaues Haus auf, auf dem am Giebel ein Kreuz angeschlagen war. Sogar eine kleine Glocke sah man darunter hängen. Das ist wohl die kleinste Kirche, der wir auf dem Weg begegnen werden. Und so nutzen wir kurzerhand die Gelegenheit, einen Blick hinein zu werfen, da die Türe offen war und einige ältere Frauen vor der Kapelle standen und plauderten. Grüßend zwängten wir uns auf dem schmalen Weg an ihnen vorbei und betraten den Raum. Ein paar Reihen Stühle vor einem winzigen Altar, das war alles, was sich in dem Raum befand. Die junge Pastorin, die noch einige Utensilien zusammen sammelte, war bereits schon wieder in Eile und musste laut ihrer Erklärung noch zu einer Taufe. Also blieb keine Zeit für ein Gespräch. Soviel erfuhren wir aber, dass die Kapelle aus Teilen einer alten Baracke gezimmert wurde und wegen ihres Anstrichs und ihres Aussehens auch irgendwo in Skandinavien hätte stehen können. Noch schnell ein Foto und schon ging es wieder auf den Weg (so dachten wir). Eine Straßenbaustelle zwang uns auf die rechte Straßenseite. Die Ortsdurchfahrt der B198 wurde hier erneuert. Vielleicht ist dadurch der Wegweiser verschwunden und schuld daran, dass wir auf dieser Etappe ein ganzes Stück in die falsche Richtung liefen. Nach etwas über einen Kilometer, den wir auf einem Radweg entlang der B198 liefen, fiel mir unser Irrtum auf und wir kehrten um. Hier war es wieder mal von Vorteil, das GPS Gerät mit zu haben.
Der zuvor aufgezeichnete Track verwies uns auf einen Sandweg in Richtung Bergfeld. In Anbetracht einer gedachten Luftlinie zu unserem heutigen Ziel bedeutete das, dass wir wieder mal einen größeren Bogen einlegen und so die Tages – Kilometerleistung wieder mal steigerten. Der einsame Sandweg zog sich ganz schön in die Länge. Über uns kreiste ein Weißstorch am leicht bewölkten Himmel und vor Bergfeld nutzen wir eine kleine Bank am Wegesrand zu einer erneuten Rast. So hatten wir Muße, den herrlichen Himmel zu betrachten, der einen schönen Kontrast zu den üppig grünen Getreidefeldern und dem leuchtend gelben Raps bildete. Ich finde wolkenlosen Himmel langweilig. Was sich aber heute da oben tat, ließ mich immer wieder zum Fotoapparat greifen. Bergfeld wirkte wie ausgestorben. Kaum ein Mensch war zu sehen. Es war inzwischen Sonntag kurz nach Mittag und die meisten würden wohl ihre Mittagsruhe halten.
Wir nicht! Und so übersahen wir auch nicht den Wegweiser, der uns kurz nach der historischen Dorfschmiede nach links auf einem schlammigen Weg in den Wald schickte. Aus einem Garten winkte uns ein freundlicher alter Mann zu. Und kurze Zeit später mussten wir vom Weg flüchten, denn auf uns zu kam bergab ein Pferdegespann mit einem Planwagen und zwei massigen Kaltblütern davor. Planwagencamping.de stand auf dem Wagen, auf dessen Kutschbock zwei vergnügte Frauen saßen, die freundlich grüßten und sich bedankten wegen der Vorfahrt, die wir ihnen gewährten. Bei dem Schwung, den sie drauf hatten, blieb uns ja eigentlich nichts weiter übrig, als in den Wald auszuweichen. Wenig später sahen wir noch mehr solcher Wagen.
Eine ganze Wagenburg stand nahe Grünow im lichten Wald. Dies ist sicher auch eine sehr interessante Möglichkeit die Gegend kennen zu lernen, zudem eine sehr umweltfreundliche. Bullige Kaltblüter Pferde standen nebenan auf einer Koppel. Und wieder lud uns wenig später eine nagelneue Sitzgruppe zu einem Päuschen ein. Eine hoch schwangere junge Frau saß dort bereits in der Sonne und ich wunderte mich, dass sie sich in ihrem Zustand doch recht weit weg getraute von einem Ort oder einer befestigten Straße. Nach einem kurzen Gespräch mit ihr, folge des Rätsels Lösung. Ihr Partner näherte sich mit seinem Jagdhund 10 Minuten später über eine Wiese. Er hatte abseits des Weges Rotwild beobachtet. Beide verabschiedeten sich von uns und wir lagen noch einige Zeit in der Sonne. Nur die Härte der schmalen Holzbänke verhinderte, dass ich einschlief. Und so mahnte ich auch Andrea zum Aufbruch.
Die Wolken am Himmel verdichteten sich zusehends und ich hatte die Befürchtung, dass wir heute noch nass werden könnten. Schnell erreichten wir durch einen sehr schönen Wald mit vielen sumpfigen Tümpeln wenig später den Ort Steinmühle.
Na ja, Ort ist eigentlich zu viel gesagt. Es sind nur ein paar Häuser. Das wichtigste davon ist sicherlich das Jugendwaldheim, einer Jugendbildungsstätte des Nationalparkamtes Müritz. Hier können auch Pilger ein Nachtlager finden. Heute trafen wir hier viele Wochenendausflügler und alle Bänke waren besetzt. Kinder saßen auf Ponys, die auf den Wegen geführt wurden und einige Leute ließen sich ihren Kaffee schmecken. Wir hielten uns hier nicht lange auf und entdeckten schnell den Wegweiser in Richtung Goldenbaum. Die Wegbeschreibung versprach uns nun einen Aufstieg, der “es in sich haben” sollte.
Und in der Tat vermutet man in dieser Gegend nicht eine so lange Steigung. Auch wenn sie sich dann doch als recht moderat herausstellte. Trotzdem hatte man hier eher den Eindruck, sich in Thüringen zu befinden und nicht in Mecklenburg. Links unter uns im Tal rauschte ein Bach, der jedem Gebirgsbach hätte Konkurrenz machen können.
Doch schon traten wir aus dem Wald heraus und am Ende eines grünen Tales zeigte sich halb links der Ort Goldenbaum mit seiner großen Backsteinkirche, die leider verschlossen war. Kurz vor Ende des lang gestreckten Ortes verwies uns der Wegweiser wieder auf einen Feldweg. Was folgte, war ein größeres Waldgebiet, in welchem sich wiederum viele sumpfige Stellen mit Totholz rechts und links des Weges befanden. Und was gibt es in solch einer Umgebung bei den entsprechenden Temperaturen? – Mücken! Und so konnten wir nicht schnell genug den Mückenschutz aus dem Rucksack kramen. Schon hatten es einige Mücken geschafft, uns zu piesacken. Die waren wie wahnsinnig und umschwirrten uns angriffslustig. Zum Glück wirkte das “Antibrumm” sehr schnell und wir hatten wieder unsere Ruhe. Einziger Nachteil, es klebt etwas auf der Haut und wenn es trocken und staubig ist, sammelt sich dieser Staub massiv auf der Haut.
Meine Himmelsbeobachtung und meine daraus resultierenden Voraussagen sollten sich leider bestätigen. Vor uns baute sich gerade eine dunkle Wolkenwand auf, als wir den Wald verließen. Und etwa 2 Kilometer vor unserem Ziel begann es so stark zu regnen, dass wir nun doch noch unsere Regenjacken überziehen mussten. Eilig passierten wir noch den Ort Grammertin und wenig später standen wir tropfnass an der Pforte des Pfarrhauses von Wokuhl.
Nicht gerade einladend wurden wir von einer Jungen Frau empfangen: “Haben sie sich denn angemeldet? Eigentlich sollte man doch Wokuhl aus der Liste der Herbergen raus nehmen!” Alles stand eigentlich im Gegensatz zum überdimensionalen Herbergsschild am Hoftor. Sie führte uns in einen Raum, in dem außer einem Schrank und einem großen Tisch mit Stühlen nur noch eine lange Couch stand. Für zwei Personen könnte die etwas eng werden. Sie machte aber keine Anzeichen, uns eine andere Alternative anzubieten und wegen der etwas seltsamen Begrüßung, wagte ich auch nicht danach zu fragen. Na wenigstens war eine gut ausgestattete Küche da und eine Badewanne. Für die Nachtruhe hatten wir ja unsere Luftmatratzen mit, die ich im Notfall aufblasen könnte. Nur bestand die Gefahr, dass diese auf dem recht wackeligen alten Holzfußboden Schaden nehmen könnten. Denn unsere Leichtluftmatratzen haben nur eine recht dünne Außenhaut.
Zum Glück entdeckte ich noch, dass sich eine Hälfte der Couch ausziehen lässt. So könnte ich diagonal auf der ausgezogenen Seite und Andrea auf der anderen Hälfte schlafen. So gut es ging richteten wir uns nach unseren Vorstellungen ein, denn die junge Frau war schnell wieder verschwunden, nicht ohne dass sie uns noch die Büchse für die Spende und den Stempel für den Pilgerausweis hingelegt hatte. Also ist man doch auf Pilger vorbereitet. Nach dem Bad gingen wir noch einmal in den Ort, denn am Ortseingang hatten wir im Regen einen Werbeaufsteller entdeckt, der uns auf “Ritas Lädchen” aufmerksam machte.
Und richtig, hinter einem schmucken Eigenheim standen da in der Garagenauffahrt ein paar Tische und Stühle unter einem Partyzelt. Am hinteren der beiden Rolltore befand sich eine Klingel nebst einem Schild, welches dazu aufforderte diese zu betätigen, was ich promt tat. Wenig später rappelte das Tor und schob sich langsam nach oben. Dahinter tat sich ein Anblick auf, der uns sehr gefiel – ein richtiger “Tante-Emma-Laden”. Und plötzlich wussten wir gar nicht, was wir nehmen sollten. Es ist immer gar nicht so einfach auf so einer Pilgertour, leicht muss es sein, klein und haltbar. Doch zunächst erst mal Kaffee und etwas von dem selbst gebackene Kuchen waren das, was uns zuerst anstand und für mich noch ein Bier. So ein Bier gilt für mich wie eine Belohnung nach so einem langen Marsch. Etwas fröstelnd nahmen wir auf den Plastikstühlen platz. Der Kuchen war ausgezeichnet und nachdem wir noch einiges an Proviant und eine Flasche Rotwein für den Abend ausgewählt hatten, verabschiedete sich “Rita” wieder. Denn sie hatte eigentlich das Haus voller Besuch. “Wenn sie noch einen Wunsch haben – einfach klingeln”. Danke, sagten wir und waren uns sicher, dass dies ein wertvoller Tipp ist für nachfolgende Pilger. Wünschen wir “Ritas Lädchen” ein langes Leben. Hungrige und durstige Pilger werden es danken. Einen kurzen Abstecher machten wir noch zum Pfarrsee, an dem es eine Badestelle und einen Steg gibt.
Und wenn wir uns nicht wieder verlaufen, müssten wir diesmal ziemlich zeitig dort sein. Recht gut, gibt es doch in einer etwas größeren Stadt meist mehr zu besichtigen, als in einem einsamen kleinen Dorf wie Wokuhl, dessen wichtigste Sehenswürdigkeiten sich auf die Kirche mit den interessanten Eisenkreuzen davor und eine aufwendig restaurierte Dorfschmiede beschränken. Selbst die hiesige Kneipe scheint geschlossen zu sein. Das Regenwetter und das damit verbundene trübe Licht ließen den Ort vielleicht auch zu unrecht etwas trist erscheinen. Wir hofften jedenfalls am morgigen Tag auf besseres Wetter. Zumindest aber, dass wir trocken nach Fürstenberg kommen.