Dass das Frühstück hier im „Emir View“ wieder ausgezeichnet ist, muss ich wohl nicht betonen. Die Nacht verlief diesmal ruhig und ohne Störungen. Aber als ich das erste Mal wach wurde, sah ich schon das Dilemma – es regnet. Na gut, der Ire würde diesen Niesel nicht als Regen bezeichnen. Es ist wohl hier der normale Zustand zwischen den Schauern. Die Berge kann man nur erahnen. Na prima, denn gerade heute geht es auf einen Panoramaweg über dem Atlantik. Und gerade heute steht uns mit etwa 30 Kilometern eine ziemlich lange Etappe bevor. Ändern können wir es eh nicht. Und so lassen wir uns das Frühstück schmecken. Wieder gegen 9 Uhr verabschieden wir uns von unserer netten Gastgeberin.
Auch als wir starten regnet es noch. Wir gehen über die schöne Steinbrück über den River Behy. Ich mache ein paar Fotos und schaue auf mein Smartphone. Da sehe ich, dass der Weg hier einen ganz schönen Schlenker macht. Wenn wir hier gleich nach der Brücke links abbiegen, könnten wir hier mindestens 2 Kilometer einsparen. Wenn ich Andrea mit dem Wort Abkürzung komme, schellen bei ihr sofort die Alarmglocken. Eine solche „Abkürzung“ endete auf dem sächsischen Jakobsweg mal im Unterholz. Zum Schluss haben wir unfreiwillig die Strecke nicht unwesentlich verlängert. Auch Marion meint, wir sollten lieber den gekennzeichneten Weg nehmen.
Also gehen wir nach rechts auf der Asphaltstraße weiter. Nach einem knappen Kilometer zeigen die Wegweiser an einem Picknickplatz nach links oben. Auf dem steilen Pfad kommt uns das deutsche Ehepaar mit seinen großen Rucksäcken entgegen. Sie meinen, dass es einen Weg am Meer entlang gibt und sie dort werter wollen. Und während er uns das erklärt, schaut er unentwegt auf sein Smartphone. Na ob das mal gut geht. Wir dagegen steigen weiter den schlüpfrigen Pfad am Laghtshee Hill empor und tauchen in einen dunklen Hochwald hinein. Überall tropft es von den Zweigen, alles ist üppig grün und wie frisch gewaschen. Da entdecken wir ein Schild: Listen carefully and walk softly. The Fairies play here. Hör genau hin und geh leise. Die Feen spielen hier!
Wir sind im Feenwald von Glenbeigh. Überall am Wegesrand entdecken wir kleine aus Holz gezimmerte Häuschen auf Stelzen oder an den Baum gestellt. Sie sind bunt bemalt und wenn man näher hin schaut, sitzen kleine Püppchen drin. Unbewusst flüstern wir und gehen wirklich fast auf Zehenspitzen. Das ist irgendwie rührend und zugleich mystisch hier. Etwas Dunst steigt auf und man meint, dass hinter jedem Baum plötzlich eine Fee hervor schwebt. Doch wir haben keine gesehen, wofür sich die Feen auf einem weiteren Schild entschuldigen: Sorry if we missed you. We ware dancing among the trees. Nach einigen hundert Metern beendet ein buntes Schild den Feenwald. Wäre doch schade gewesen, wenn wir das hier nicht gesehen hätten.
Wir können wieder fest auftreten und sprechen wieder normal laut miteinander. Der Wald ist bald zu Ende und vor uns liegt ein sehr langer Asphalt – Abschnitt auf einer schmalen Straße, die anscheinend sehr wenig befahren wird. Denn in der Mitte der einspurigen Straße gibt es hier und da einen bewachsenen Streifen. Auf dem lässt sich ganz gut laufen. Trotzdem ist der Abschnitt recht langweilig. Es geht jedoch gut voran. Jeder geht seinen Schritt und unser Grüppchen zieht sich etwas auseinander, ohne dass wir uns aus den Augen verlieren, da es ziemlich geradeaus geht. Vereinzelt stehen kleine Gehöfte am Weg, deren Tore weit geöffnet sind. Kurz vor dem nächsten kleinen Ort ist plötzlich das Ehepaar wieder vor uns. Eine Abkürzung ist es also scheinbar nicht am Meer entlang. Trotzdem hätte auch mich diese Variante interessiert.
Wir haben nun eine neue Begleitung. Ein großer Hund will lieber uns statt seinem Herrchen folgen. Immer wieder pendelt er neugierig zwischen uns und ihm hin und her. Da nutzt alles rufen nichts. Nach Mountain Stadge geht es über eine Brücke, die die N70 also den Ring of Kerry kreuzt. Gleich danach beginnt nach links oben der Aufstieg auf der Butterroad. Auf diesen alten Kutschenpfaden wurde im 19. Jahrhundert Butter nach Cork transportiert, um sie von dort nach England zu verschiffen. Butter wurde vor allem auch für das englische Militär gebraucht. Durch oder über viele Schafgatter geht es gleichmäßig steil und recht gut begehbar nach oben.
Einen Platz zum rasten zu finden, ist heute recht schwierig. Marion, die etwas voraus war, sitzt auf ihrem Poncho an einem großen Baum und wir versuchen hier auch ein trockenes Plätzchen zu finden. Meine Kapuze habe ich tief ins Gesicht gezogen. Denn je höher wir kommen, um so stärker wird der kalte Wind. So idyllisch dieses Fleckchen hier auch ist, ich muss weiter. Wie angekündigt läuft es bei mir ab heute recht gut. Und bis auf die Luft, nach der wir jedoch alle schnappen, habe ich kaum Probleme mit dem moderaten Aufstieg. Nur diese Schafgatter stören meinen Rhythmus etwas. Zudem sind die Stufen heute ziemlich rutschig. Manche Gatter lassen sich aber auch öffnen. Das Quetschen der eisernen Tore muss man bis in den nächsten Ort hören. Und der ist schon ganz schön weit unten.
Immer weiter nach oben führt der alte Butterweg an der steil abfallenden Flanke des Drung Hill und es eröffnet sich uns trotz des Wetters ein toller Ausblick auf den Atlantik, der unten in blau/grünen Schattierungen die Felsenküste berührt. Parallel zu unserem Weg sehen wir weiter unten die Panoramastraße des Ring of Kerry. Einige Reisebusse stehen auf den Rastplätzen an der Straße. Wir sehen, dass viele Reisende wie auf Kommando zu uns herauf schauen. Ein Guide erzählt sicher etwas über die alte Butter Road oder den Keryway. Vielleicht hat uns auch jemand bemerkt, da wir weit vorn an der Kante stehen und den Ausblick, der hier etwa 100 Meter höher natürlich viel schöner ist, zu genießen. Aber man muss halt was dafür tun.
Es reißt kurz etwas auf und man kann schemenhaft die Dingle Halbinsel gegenüber sehen. Hier oben gibt es keine Schafgatter mehr und wir können in gleichmäßigem Schritt auf den Passübergang zu gehen.
Wolkenfetzen fliegen von unten her über den Weg und ein kalter Wind pfeift uns um die Ohren. Ich ziehe die Kapuze, die ich gerade abgesetzt hatte, da es nicht mehr regnet über meinen Hut. Die Brille beschlägt und ich muss ziemlich aufpassen, nicht über die überall auf dem Weg herum liegenden Felsbrocken zu stolpern. “Das nächste Mal kommen wir im Sommer her!!”
Der Pass zwischen Drung Hill und Beenmore ist schnell erreicht und dahinter wird es etwas ruhiger. Vor uns liegt das Tal des River Ferta und man kann den flach abfallenden Weg bis hin zu einem Wäldchen verfolgen. Rechts unten sehen wir das Gleesk Viadukt, über welches ab 1893 eine Eisenbahnstrecke verlief. Das ist lange her. Jetzt ist es eine sogenannte “so da Brücke”. Sie steht einfach so da, passt aber gut in die Landschaft.
Im weiten Bogen laufen wir bergab und müssen ziemlich aufpassen, da der steinige Weg durch den Regen sehr glitschig ist. Die umliegenden Berge bremsen zumindest den kalten Wind, der vor dem Pass noch vom Atlantik her blies.
Die Kapuze kann wieder runter, da es gerade nicht regnet. Bald ist der Waldrand erreicht. Der Weg ist hier noch aufgeweichter. Hier und da müssen wir große Wasserlachen umgehen, um keine nassen Füße zu bekommen. Auch Schafgatter stehen wieder im Weg.
Da endlich eine Bank. Wir breiten Marions Poncho aus, um keinen nassen Hintern zu bekommen und strecken die Beine aus. Etwas zu Essen findet sich auch noch im Rucksack. Viel ist es nicht, doch es reicht, um den keinen Hohlraum im Magen zu füllen, der sich bereits bemerkbar gemacht hat. An der Bank entdecke ich ein Schild. „Das hier war der Lieblingsplatz unseres Großvaters.“ So schrieben es die Enkel und stellten im Gedenken an ihren Opa, der scheinbar eine Art Förster oder Wildhüter war, diese Bank auf – sehr zur Freude der Wanderer. Wenn auch viel häufiger als auf anderen Wegen, die wir gingen, sind auch hier die Sitzgelegenheiten recht rar oder wenn man eine findet ziemlich nass.
Im Folgenden verläuft der Weg an Steinmauern oder Stacheldrahtzäunen entlang über aufgeweichte Weiden und natürlich jede Menge Zaunüberstiege im stetigen Auf und Ab, jedoch ohne größere Anstrengung. Wir kommen vorbei an verfallenen Gebäuden, an denen sich Efeu in die Höhe windet. Das Wetter macht diese Ruinen noch mystischer, als sie eh schon sind.
Ich lasse die Frauen weiter ziehen und krieche für ein paar Fotos durch die alten Gemäuer. Wahnsinn, wie die das hier gebaut haben! Ich hetze den Frauen nach und bald habe ich sie wieder eingeholt. Ich sag ja, am dritten Tag wird alles besser. Da hinten, das ist Cahersiveen und ich mache ein Foto mit langem Zoom. Das täuscht etwas. Denn es ist noch ganz schön weit bis zum Tagesziel. Es geht gleichmäßig bergab. Der schöne Weg mit dieser phantastischen Aussicht mündet unversehens in eine schmale Asphaltstraße, die kerzengeradeaus zwischen hohem Bewuchs an einigen Bauernhöfen vorbei führt. Es metert bei mir ganz schön. Denn ich erhöhe das Tempo, um diese eintönige Strecke schnell hinter mich zu bringen. Ab und zu muss ich meinen Gang jäh unterbrechen, da mich ein Traktor in die seitlichen Büsche drängt. Viel Platz ist hier nicht.
Ich schaue mich immer mal um. Von den Mädels ist nichts zu sehen. Auf dem steinernen Geländer einer Brücke lasse ich mich nieder, um auf die beiden zu warten. Minutenlang tut sich nichts. Und da fällt mir doch ein, dass ich da noch meinen Flachmann im Rucksack habe. Wann, wenn nicht jetzt…? Das habe ich jetzt gebraucht. Der Scotch, ein Laphroaig Quarter Cask Islay Single Malt rinnt die Kehle runter, wärmt auf seinem Weg in den Magen gehörig und hinterlässt seinen typisch rauchigen Geschmack. Der Abgang ist lang und wechselt zwischen Süße und Rauch, sagt der Fachmann. Der bin ich nicht. Denn ich muss mir oft bestätigen lassen, wonach so ein Scotch schmeckt oder schmecken sollte. Es ist für mich einfach nur ein Genuss. Bei dem einen weniger und bei dem anderen mehr. Und genau an dieser Stelle habe ich diesen Genuss gebraucht. Na endlich! Schwatzend nähern sich die Damen. Marion hat ihre hohen Hikings gegen flache Laufschuhe gewechselt. Also deshalb hatte ich Zeit für den Whisky. Der Weg biegt hier nun links ab und wir gehen nach einem Gehöft über eine große Kuhweide. Man erwartet hier im Gedanken an die viele irische Butter in den heimischen Supermarkt Regalen eigentlich viel mehr Kühe. Werden doch in der Werbung immer wieder fette gesunde Kühe auf sattgrünen irischen Wiesen in Szene gesetzt. Mir kommen da ganz andere Gedanken: Die veräppeln uns doch! Entweder es gibt auch hier Milchfabriken oder die Milch für „unsere“ irische Butter kommt gar nicht aus Irland. Na egal.
Wir laufen über diese Weide, auf der nur einzelne Jungbullen stehen, die uns zum Glück völlig ignorieren. Denn die massige Gestalt dieser Tiere ist ganz schön beeindruckend. Und man hätte nur wenige Chancen dagegen anzukommen. Die können auch verdammt schnell sein.
Über eine sehr schmale Brücke über den River Ferta verlassen wir die Weiden und gelangen auf einer kurzen Straße den Weiler Foilmoore. Nach einem kleinen Schlenker nach links oben erreichen wir den Abzweig nach Caherciveen. Von hier, das gebe ich bekannt, sind es noch 6 Kilometer und morgen sollte es hier wieder weiter in Richtung Waterville gehen. Die Wegweiser verweisen uns in Richtung Cahersiveen vom bequemen Weg hinunter auf eine saftig feuchte Schafweide. Natürlich klettern wir wieder über etliche Leitern. Ich habe den Eindruck, dass die immer höher werden. Die Schafe müssten hier 2 Meter hoch sein, um da drüber springen zu können. Die hier sind aber völlig normal gebaut, wie man Schafe halt so kennt. Wir bahnen uns unseren Weg mitten durch die grasende Herde. Ich bin immer wieder erstaunt, wir friedlich auch die Schafmütter mit ihren Lämmern sind.
Dann erreichen wir einen Schotterweg. Hier müssen wir uns entscheiden, ob wir nach links in Richtung des gekennzeichneten Weges durch das Sumpfgebiet des River Ferta weiter gehen, sicher wieder mit vielen Hindernissen oder ob wir die schnellere Variante auf der Straße entlang wählen.
Der wieder einsetzende Nieselregen nimmt uns die Entscheidung ab. Und eigentlich sind wir auch schon ganz schön fertig. Auf der Straße entlang zu gehen, ist aber nicht ganz ungefährlich. Diese Nebenstraße ist zu unsrer Beunruhigung recht gut befahren und oft unübersichtlich. Das trübe Wetter lässt die Konturen verschwimmen. Wir verlassen, wenn uns ein Auto begegnet vorsichtshalber die Fahrbahn auf den Randstreifen oder bleiben stehen, wenn dies vor uns nicht möglich ist. Aber es geht ganz gut voran. In Erwartung einer warmen Dusche fliegen die Füße – bei Marion besonders gut. Sie hat bei der letzten Rast wieder ihre Rennsemmeln angezogen und entschwindet so langsam unseren Blicken.
Endlich erreichen wir die N70. Nur noch einen Kilometer auf dem breiten und sicheren Randstreifen dieser Fernverkehrsstraße und wir biegen auf das große Grundstücke des „Southern Sun B&B“ ein. Auf der Bank vor dem Haus wartet schon Marion. Wir klingeln und werden freundlich herein gebeten. Die schmutzigen Schuhe ziehen wir natürlich am Eingang aus und auch die Stöcke lassen wir hier vorn. Die Füße versinken auf dem Weg zu den Zimmern im dicken Teppich. Nach Dusche und Auspacken lassen wir uns noch Ratschläge für ein Abendessen im Ort geben. „The hungry Monk“ wäre eine gute Adresse, bei der man recht gut und preiswert essen kann. Wir machen uns auf die Socken. Die Füße schmerzen nach dieser langen Etappe auf den ersten Metern.
Nach etwa 1,5 Kilometern erreichen wir das Zentrum der Stadt. Für eine längere Stadtbesichtigung fehlt uns gerade die Motivation. Eigentlich brauchen wir nur was zum Essen und zu Trinken. Der „hunrige Mönch“ hat leider bereits geschlossen. Er wäre aber wahrscheinlich eh aus unserer Auswahl heraus gefallen, da es eher ein Bistro für´s “Schnellesattwerden” ist. Wir bevorzugen eher die Pup´s mit etwas Atmosphäre, wenn die immer auch etwas teurer sind.
Cahersiveen ist sowas wie die heimliche Hauptstadt der Iveragh Halbinsel. Sie ist mit etwa 1300 Einwohnern ein der größten Ortschaften im Country Kerry. Der größte Sohn der Stadt ist Daniel O´Connell, einem irischen Rechtsanwalt und Politiker, der sich Anfang des 19. Jahrhunderts um die Gleichberechtigung der Katholiken und die Aufhebung der Union zwischen Großbritannien und Irland einsetzte. Er hatte den Beinamen „The Liberator“ der Befreier. Nach ihm ist die katholische Kirche in Cahersiveen benannt, die einzige, die den Namen eines Laien trägt. Es gibt aber nur wenige Gebäude, die aus der Masse heraus stechen. Wir wollen auch nicht weiter suchen zwischen die vielen bunten Fassaden und wählen das erstbeste Lokal. Interessant ist, dass die kleine Vorderfront dieser Pup´s gekonnt verbirgt, welch großer Raum sich dahinter befindet. Wir erhalten einen Platz am Fenster, während der Rest des Lokals ganz gut gefüllt ist. Die Karten werden gebracht. Und während die Auswahl der Getränke dies nicht nötig gehabt hätte, denn jeder von uns hat sich auf Guinness eingestellt, gibt uns diese Karte wieder Rätsel auf. Marion versucht wieder zu übersetzen. Da ist was mit Nudeln und Knoblauch. Das klingt gut. Die Frauen schließen sich an. Was da nach der ersten Runde Guinness kommt, ist ein großer Teller mit Nudeln in sehr schmackhafter Sahnesoße und gekochten Schinkenstreifen mit Knoblauchbrot. Schon der Geruch ist betörend. Ich könnte mich in diesen Teller hinein legen und bin etwas traurig, als er so schnell leer ist. So eine Soße habe ich noch nie gegessen. Und ich stoße auf Zustimmung in der Runde. Noch eine Runde Guinness und wir machen uns auf den Rückweg. Es ist wiederum noch hell draußen, als wir zu Bett gehen. Wir haben uns vorher geeinigt, morgen nicht wieder zum Abzweig zu laufen, sondern die Chefin zu fragen, ob sie uns fährt. Bis wohin, das machen wir abhängig davon, wie das Wetter morgen früh ist.
Doch zunächst wünsche ich erst mal wieder
Gute Nacht!