Pustekuchen!!!
ist mein erster Gedanke, als ich schon den Rucksack auf dem Rücken aus der Herberge trete. Und ich traute meinen Augen nicht, denn es regnet in Strömen. Also alles wieder runter und die Regenjacke raus. Ist wieder nichts mit einer Ankunft in Santiago bei schönem Wetter!
Draußen stehen zwei Koreanerinnen in ihren roten Notponchos aus Plastikfolie, die sich nicht so recht trauen loszulaufen. In Englisch fragen sie mich, ob ich jetzt loslaufen will. „Yes“ sage ich und trotte los. Die beiden folgen mir auf dem Fuße.
Dann komme ich vor Jörgs Unterkunft an, der schon auf uns wartet. Ich bleibe stehen und auch die beiden Koreanerinnen, die mich daraufhin etwas fassungslos anblicken. Ganz in Ruhe streife ich meinen Rucksack ab, um die Regenjacke gegen den Poncho zu tauschen, denn es regnet jetzt doch stärker als zunächst bemerkt. Immer noch fragende Blicke von den Koreanerinnen bemerkend, beruhige ich sie mit den Worten“ I waiting for my Wife“. Die Minen erhellen sich, so man das in der Dunkelheit sieht, denn auch um 8 Uhr scheint es heute Morgen nicht richtig hell werden zu wollen. Jana und Andrea tauchen aus dem Dunkel auf und es geht endlich weiter, die Koreanerinnen immer hinter mir her. Immer wenn ich stehen bleibe, um auf Jana und Andrea zu warten oder zu fotografieren, bleiben auch die Koreanerinnen stehen. Ich fragte mich, ob sie das so auf dem gesamten Weg durchgezogen haben? Dann dürfte das ziemlich stressig für den Verfolgten und auch für sie selbst gewesen sein. Dieses Spielchen ziehen sie so bis zur Kathedrale ab und wurden später nie mehr gesehen.
Ganz unten das Video zur Etappe !
Da waren wir nun, zwar nur ein Zwischenziel in diesem Jahr aber ein bedeutsames und emotionales.
Schnell laufen wir nach dem Eintreffen vor der Kathedrale zur Pension, denn auf dem Vertrag stand „Eintreffen bitte bis 9 Uhr“. Wie das normalerweise gehen soll, frage ich mich schon lange. Aber der Sinn ist mir schon klar. Man will die Pension innerhalb der Hauptankunftszeit der Pilger voll bekommen. Und wenn dann jemand bis zur vertraglich vereinbarten Zeit nicht da ist, kann man das Bett weiter vergeben. Als wir aber ankommen bei Roots& Boots sehen wir, dass das alles nicht so heiß gegessen wird wie gekocht. Wir haben wieder mal typisch deutsch gedacht. Ich muss viel, viel ruhiger werden!! Aber das schrieb ich ja schon. Noch ein Schritt über den Nullstein und der Camino Primitivo 2012 ist Geschichte. Die geistige Leere, die wir zu diesem Zeitpunkt im vorigen Jahr erlebten, kommt dieses Mal nicht auf. Schon deshalb bin ich froh, morgen noch weiter bis zum Meer laufen zu können.
Dann wollen wir zur 9.30 Uhr Messe in die Kathedrale. Das Westportal ist verschlossen und so gehen wir zum Nordportal, wo uns aber ein Wachmann abweisen will. Aus seinem Redeschwall entnehme ich, dass es nicht gewünscht ist, dass Touristen während der Messe durch die Kathedrale streifen. Aha, haben sie doch was geändert. Im vorigen Jahr war es sehr störend, dass selbst während der Messe Touristengruppen durch die Kathedrale geführt wurden. Aber sehen wir aus wie Touristen? Nun gut, wir haben unsere Rucksäcke bereits zur Herberge gebracht. Aber unser Outfit unterscheidet uns doch trotzdem noch sehr von den üblichen Touristen, die nicht zu Fuß die Stadt erreicht hatten. Und so machen wir ihm klar, dass wir zur Messe wollen. Bereitwillig gibt er daraufhin den Eingang frei und ohne Umwege suchen wir uns einen Platz im Hauptschiff der Kathedrale.
Diese ist am Morgen sehr spärlich gefüllt, ganz anders als im Vorjahr. Wie immer verstehe ich nichts von dem, was da vorn gesagt wird und so habe ich die Zeit und die Muße, mir diese Kathedrale in aller Ruhe vom Platz aus anzusehen. Man entdeckt noch so vieles, wenn man sich die Zeit dafür nimmt und nicht von Touristengruppen „durch geschubst“ wird. Ich habe mal keinen Fotoapparat am Auge und bin nicht auf der Suche nach Motiven. Ich lasse einfach den Raum auf mich wirken und es stellt sich eine tiefe innere Ruhe und Zufriedenheit ein. War das die Ruhe, die ich suchte?
Nach der Messe folgt dann noch die obligatorische Umarmung des „Jakobus“ und der Gang durch die Gruft.
Diese Ruhe ist sofort nach Verlassen der Messe wieder vorbei. Wenn man 14 Tage seine Zeit fast ausschließlich in der Natur verbracht hat, geht einem diese Stadt gehörig auf den Zeiger. So geht das mir jedenfalls und das nicht zum ersten Mal. Vielen mit denen ich sprach, ging es ebenso. Und viele sehen auch deshalb das Erreichen des Atlantiks als eigentlichen Abschluss ihrer Pilgerreise. Ich bin gespannt auf die Eindrücke und Gedanken, die mich ergreifen, wenn ich das Cap erreiche.
Zweimal abbiegen und schon stehen wir in der Schlange vor dem Pilgerbüro. Hier hält sich glücklicherweise das Gedränge in Grenzen. Nach nur 15 Minuten haben wir stolz unsere Compostela in den Händen. Und ein Wartender hält dies dann auch mit meinem Fotoapparat fest. Noch schnell eine Papphülse besorgt, um das Dokument sicher zu verpacken und schon sind wir wieder draußen.
Um nicht vor jedem Souvenirladen aufeinander warten zu müssen, beschließen wir, uns zu trennen.
Eigentlich haben wir eh vor, nichts zu kaufen, da wir ja noch weiter nach Finisterra wollen. Aber die Verlockung einfach mal rein zu gucken ist zu groß. Also gehen Andrea und ich allein weiter durch die Gassen. Und da sitzt plötzlich Hartmut mit einer Gruppe junger Pilger und der ruft uns uns zu sich, an den Tisch eines Straßencafes. Eine kleine Unterhaltung, der Austausch von Erfahrungen und schon trennt man sich wieder. So geht das immer. Tiefgründige Gespräche hat man erst, wenn man sich länger kennt.
So verbringen wir den Vormittag bis zum Beginn der Pilgermesse. Zu dieser hatten wir uns am Südportal der Kathedrale verabredet. Zusammen gehen wir in die diesmal überfüllte Kathedrale und finden nur noch einen Stehplatz. Dieser hat aber wenigstens eine gute Sicht auf das Geschehen. Das gehört auch zu den Wundern, die einem auf diesem Weg begegnen. Denn natürlich steht Philine wie aus dem Nichts plötzlich neben uns und wir können gemeinsam zuschauen und – hören, wie eine Nonne zusammen mit den Anwesenden den Gesang übt, welcher später während der Messe mit der Orgelbegleitung angestimmt wird. Das erscheint mir etwas befremdlich und ich muss in mich hinein grinsen, denn sowas kenne ich bisher nur von Fernsehaufnahmen im Studio von sogenannten „Warmmachern“.
Die Messe läuft dann auch etwas volkstümlicher ab, als die am frühen Vormittag. Ich muss dazu sagen, dass ich in derlei religiösen Dingen keinerlei Erfahrung oder Vorbildung habe. Für mich war das im vorigen Jahr alles sehr neu und interessant. Mit den Standard – Ritualen bin ich aber inzwischen vertraut.
So eine Pilgermesse ist aber eben was anderes. Obwohl ich wieder kein Wort verstehe, ist die Predigt, die in der Aufzählung der Pilger bzw. ihrer Nationalitäten und der Startorte der verschiedenen Wege gipfelt, sehr unterhaltend.
Als Höhepunkt wird wie auch im letzten Jahr der Botafumeiro geschwenkt. Wer bis hierher nicht von der Szenerie berührt war, der ist es spätestens jetzt. Die Nonne singt in den schönsten Tönen und der Organist geht in die Vollen und zieht alle Register seines Instrumentes. Der Weihrauchkessel zieht angetrieben vor der Kraft und Technik der Bruderschaft schwungvoll seine Bahn durch das Querschiff der Kirche, die bald völlig erfüllt ist vom Geruch des Weihrauchs.
Nach dem Schlussakkord bin ich schon wieder genau wie im vorigen Jahr kurz davor, Applaus zu spenden. Ich konnte mich aber gerade noch so zurück halten, da ich nicht weiß, ob das der Etikette entspricht.
Was für ein schöner Abschluss einer Pilgerreise! Das versöhnt mich etwas mit dieser trubeligen Stadt.
Beeindruckt verlassen wir die Kirche, um uns wiederum ins Gewimmel zu stürzen. Bis zur Verabredung um 19 Uhr am Westportal mit Jürgen und Philine versuchen wir die Zeit mit Mittagessen und Besichtigungstouren zu verbringen. Santiago ist teuer und da geht das Geld schneller durch die Finger, als auf dem bisherigen Weg. Man muss also seine Taschen ganz schön zu halten, um den vielen Verlockungen nicht zu erliegen. Zum Glück vergeht die Zeit hier wie im Flug, weil es viel zu sehen gibt.
Was mir im Vergleich zum Vorjahr aber auffällt ist ein Unterschied, der schon bemerkenswert ist. Man lernt auf dem Frances viel mehr Leute kennen und hat beim Durchstreifen der Stadt immer wieder die große Freude, sie in Santiago wieder zu treffen. Wenn man den Primitivo gegangen ist, hat man eher das Gefühl, einer kleinen Familie anzugehören. Denn man trifft immer wieder die gleichen wenigen Leute und die Beziehungen werden viel tiefer, so man das will oder man das Glück hat auf Menschen zu treffen, die einem sympathisch sind und mit denen man sich einigermaßen verständigen kann. Das sollte man bei der Auswahl des richtigen Weges für sich entscheiden, ob man eher die Einsamkeit mag oder gerne viele interessante Menschen kennen lernen möchte. Beides hat für mich seinen eigenen Reiz. Beide Wege sind aber in ihrer Gesamtheit kulturell, sozial, spirituell und wegen ihrer Natur kaum vergleichbar.
Über solche und ähnliche Dinge tauscht man sich auch aus. Und fast jeder empfindet das Gleiche, der beide Wege gegangen ist.
Morgen nun beginnt für mich wieder Neuland. Ich habe zwar von verschiedenen Fotos bereits einige Bilder im Kopf von den Wegen hinter Santiago. Diese sollten sich aber wiederum kolossal von der Wirklichkeit unterscheiden.
Bevor wir aber in die Pension gehen, treffen wir uns dann vor dem Westportal der Kathedrale mit Philine und Jürgen. Alle sind super pünktlich, selbst Jörg, dessen Stärke nicht in der Pünktlichkeit liegt. Jana schafft es auf den letzten Pfiff, sie ist als einzige von uns zum ersten Mal in Santiago und hat noch Orientierungsprobleme in der Stadt.
Damit nicht die gleiche Sucherei nach einer Bar wie in Lugo los geht, schlage ich vor in eine zu gehen, die ich kenne. In der Calle Rua Nova 36 ist die Bar Galeon, sicher kein Gourmet – Tempel aber die machen hervorragende Calamares. Und die will ich mir nicht entgehen lassen. Alle sind einverstanden und so sitze ich wie schon am Nachmittag am gleichen Tisch und beobachtete, was es doch ausmacht, wenn man sich bemüht in der Landessprache zu bestellen. Der Kellner, der uns schon am Mittag bediente und den ich gerne gefragt hätte, ob er seinen Job gerne macht, ist plötzlich freundlich, aufgeschlossen und sogar schnell, als Jürgen mit seinen Spanisch – Kenntnissen wieder mal glänzt. Es gehen einige Gläser Bier und einige Flaschen Wein über den Tisch und durch die Kehlen. Der Abend ist viel zu schnell vorbei.Und von Jürgen müssen wir uns nun leider verabschieden. Er war schon in Finisterra und will noch ein paar Tage in Santiago bleiben. Ihm fällt der Abschied mindestens genauso schwer wie uns.
Hier das Video zur Etappe (aus Lizenz – rechtlichen Gründen leider ohne Hintergrundmusik):
Hinweis: Nun bitte unter Label “Camino Finisterre” weiter lesen.