Blutrot geht die Sonne hinter der Silhouette der Kathedrale auf, als wir die Pension am Morgen verlassen. Die Nacht war recht unruhig, da Jörg immer wieder husten musste. Und als ich dann doch mal eingeschlafen war, hatte ich einen Traum, der mir fast den restlichen Weg gekostet hätte.
Die Kurzfassung: Ich gehe mit meinem Hund spazieren, als plötzlich ein Fuchs mit Schaum vorm Maul aus dem Gebüsch kommt – Tollwut – ohne Zweifel! Ich gerate in Panik und versuche ihn von meinem Hund fern zu halten, komme aber irgendwie nicht vorwärts (– na klar ich liege ja im Bett!). Der Fuchs kommt immer näher und ich trete nach ihm. Ich kann den Schrei gerade noch unterdrücken, den ich vor Schmerz anstimmen will. Ich bin schlagartig hellwach. Denn ich habe gegen das Bettgestell getreten und mir dabei eine Zehe so sehr gestoßen, dass sie blutet und ich befürchten muss, dass sie gebrochen ist. Ich humple zur Toilette, um wenigstens mal näher nachzusehen.
Ganz unten das Video zur Etappe !
Am Morgen aber Entwarnung. Ich kann ganz gut laufen, auch weil meine Schuhe genügend groß sind und ich mit den Zehen vorn nicht anstoße, wie das bei meinem Vorjahresmodell noch der Fall war. Ich danke dem Schuhverkäufer beim Globetrotter in Berlin, der mich beraten hat. Ich hätte diesen Schuh selbst nie so groß gekauft.
Es ist nur ein kurzer Weg aus der Stadt. Schnell erreicht man wieder die ländliche grüne Umgebung, die ich mehr mag als die Städte. Von einer Anhöhe aus hat man noch einmal einen schönen Blick auf die Kathedrale, neben der jetzt schon die Sonne strahlt.
Plötzlich ist Jörg hinter uns verschwunden. Sonst läuft er meist vor uns, da er bekanntlich viel schneller ist. Also stehen wir etwas verloren im Eukalyptuswald und warten. Nach über 10 Minuten kommt er endlich nach. Wir haben uns schon Sorgen gemacht und ich wollte ihm entgegen gehen. Er hatte beim Fotografieren nur einen Wegweiser übersehen und uns aus den Augen verloren, schon war er etwa 800 Meter den Berg wieder hinab gestiegen. So schnell geht das…
Der weitere Weg verläuft ohne Komplikationen, mal abgesehen von einem recht heftigen Anstieg vor Carballo, der mich wieder heftig ins Schwitzen bringt. Jürgen hatte doch aber gesagt, dass es bis Finisterra keine größeren Höhenunterschiede mehr gibt?
Auch wenn das hier längst nicht mit den Auf- und Abstiegen auf dem Primitivo zu vergleichen ist, der Schweiß läuft trotzdem und die Puste geht einem ganz schön aus.
Ein Höhepunkt dieser Etappe ist zweifellos der Ort Ponte Maceira mit seiner gleichnamigen mittelalterlichen Brücke über den Tambre. Die Brücke wurde im 13. Jahrhundert auf den Fundamenten einer älteren römischen Brücke errichtet. Sie hat fünf große und zwei kleinere Bögen und überspannt den Fluss neben einem Wehr und der zugehörigen alten Wassermühle. Der Ort selbst besteht ebenfalls größtenteils aus mittelalterlichen Gebäuden. Alles zusammen bildet eine harmonische Einheit und bietet viele Postkartenmotive. Hier entstehen an diesem Tag die meisten Fotos.
Ponte Maceira
Mehr oder weniger entlang des Flusses Tambre erreichen wir danach sehr schnell Negreira. Es wird auch wieder Zeit, denn im Vergleich zu gestern ist es heute wieder sehr warm und sonnig.
Unsere Wahl für die Übernachtung fällt auf die private Herberge „San Jose“. Diese befindet sich etwas abseits vom Weg im Erdgeschoß eines Neubaus. Der Weg dorthin ist gut gekennzeichnet. In deutscher Sprache mit Schweizer Akzent werden wir freundlich empfangen. Und es gibt noch jede Menge Platz in der Herberge. Der befürchtete Ansturm auf den Camino Fistarra war also anscheinend ausgeblieben. Na umso besser! So kann unser weiterer Weg wieder sehr entspannt verlaufen. Die Herberge ist sehr großzügig und modern eingerichtet. Die Betten stehen sehr weit auseinander und in drei miteinander verbundenen Räumen verteilt. Duschen und Toiletten sind ausreichend vorhanden und zu den Sanitärräumen gibt es Nachtlichter an den Stufen, was ich als sehr angenehm und zweckmäßig empfinde (in Anbetracht meiner ramponierten Zehe). Auch der Aufenthaltsraum mit eingebauter voll ausgestatteter Küche macht einen großzügigen und aufgeräumten Eindruck. Hier kann man sich wohlfühlen selbst bei Vollbelegung, wovon wir aber an diesem Tag weit entfernt sind.
Jörg, Andrea und Jana gehen in die nahe gelegene Kaufhalle, um Lebensmittel für den Abend zu kaufen. Die gut ausgestattete Küche schreit geradezu danach benutzt zu werden. Während dessen beschäftige ich mich mit der Wäsche. Lange unterhalte ich mich auf der Terrasse dann mit einer sehr netten Pilgerin aus Franken. Etwas nervig und störend dabei sind nur die ersten Versuche eines Pilgers, einer offensichtlich gestern in Santiago erstandenen Nasenflöte, sinnvolle Tonfolgen zu entlocken. Aller Anfang ist halt schwer. Und: „Musik wird störend oft empfunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, um den großen deutschen Dichter, Zeichner, Karikaturisten und Humoristen Wilhelm Busch zu bemühen.
Jörg macht Nudeln und vegetarische Tomatensoße. Mit der Menge können wir noch eine halbe Kompanie versorgen. Nur zwei Mitpilger gewinnen wir, etwas davon mit zu essen. Einer von ihnen ist Franz aus Schwedt, den wir im Schlafraum ansprachen, ob er uns versteht. „Na klar – jedes Wort!“ entgegnete er prompt, trotz unseres ausgeprägten sächsischen Dialektes. Und schon entspann sich ein Kennen – Lern – Gespräch. Er war den Camino Frances in 24 Tagen ab Saint Jean Pied de Port gelaufen und war nun etwas geschafft, was ich in Kenntnis des Weges lebhaft nachvollziehen kann. Er hatte ganze 10 Tage weniger gebraucht als wir damals – Donnerwetter! Aber auch in seinem jungen Körper hinterlässt dieser Weg seine Spuren, so dass er sich kurzerhand entschließt, morgen mit uns zu gehen, also einen ruhigeren Tag einzulegen.
Wie ruhig der wird, das sollte sich noch zeigen….
Hier das Video zur Etappe (aus Lizenz – rechtlichen Gründen leider ohne Hintergrundmusik):